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162 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 3. Heft. (März 1910.)
Menschen dieselben bleiben. Das was uns an diesem
Identifizierungsmittel sofort auffällt und es von den
übrigen unterscheidet, ist seine mathematische Schärfe,
worin es sogar direkte Körpermessungen bei weitem tibertrifft
.
Die intimen Verzweigungen dieser Linien und ihre
Musterstellung ist außerordentlich schwer, höchstens auf
mechanischem Wege, nachahmbar. Sie stellen eine natürliche
Handschrift dar, die in ihrer Messbarkeit und Kontrollfähigkeit
an Identifizierungswert die künstlich angelernte
Handschrift bei weitem übertrifft. Nehmen wir an, es sei
durch ein materialisiertes Phantom ein Handabdruck in
Ton oder Gips erzeugt worden, und es stelle sich heraus,
daß dieser Hand- oder Fingerabdruck daktyloskopisch mit
einem solchen übereinstimme, der aktenmäßig von einer
einst lebenden Person, die weder dem Medium, noch den
übrigen Teilnehmern jemals bekannt war, erzeugt wurde,
so würden wir vor einem Identitätszeugnisse ,<%ar s§oyj/r"
stehen.
Die telepathische Hypothese wäre hier noch viel weniger
anwendbar, als bei den beiden übrigen physikalischen Identitätsversuchen
; denn es erscheint ausgeschlossen f daß ein
Mensch sich zehn intime Linienmuster so einprägen kann,
um sie telepathisch einer unbekannten Person zu übermitteln
.
Die einzige denkbare Möglichkeit wäre die, daß ein
intelligentes jenseitiges Wesen sich auf mechanischem Wege
einen Abdruck von den einst hergestellten Fingermustern
verschafft hätte, mit dessen Hilfe es dann ebenfalls auf
mechanischem und medialem Wege die Fingerabdrücke reproduziert
hätte.
Diese Erklärung ist aber eine so absurde und beruht
auf so vielen unbewiesenen Möglichkeiten, daß sie kaum
ernst genommen wrerden kann. Wir sehen, daß es unter
den physikalischen Identifizierungsmöglichkeiten einige gibt,
welche der telepathischen Hypothese dieselben, ja noch
größere Schwierigkeiten entgegenstellen, als einige intellektuelle
; denn es würde sich hier um die unbewußte telepathische
Übertragung intimer Muster und Bilder auf eine
unbekannte Person handeln, deren Möglichkeit bis jetzt
noch nicht bewiesen worden ist und wohl auch nie bewiesen
werden wird. Heutzutage kann wohl nur die bewußte
Gedanken- und Vorstellungsübertragung einfacher
Worte und Gedankenbilder • zwischen einander bekannten
Personen als bewiesen gelten. —
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