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210 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 4. Heft. (April 1910.)
Für die Stärke der Wirkung dürfte es wesentlich sein, ob,
wie es das Beispiel der Koprophagen zeigt, eine besonders
stark ausgebildete Reizempfänglichkeit bei dem zu Beeinflussenden
vorhanden ist. Allgemeineren Charakters ist die
Reizempfänglichkeit durchaus natürlich. Den Mann erregt
der Geruch aus der Genitalgegend des Weibes. Darum
gaben z. B. die chrowatischen Bauernmädchen den Erwählten
ihres Herzens einen Strauß oder eine Frucht, die
sie längere Zeit zwischen ihre Schenkel gepreßt hatten.
Die Frau wiederum wird vom Duft des Mannes angezogen.
Diese Anziehung kann auch noch von den Exkrementen,
d. h. vor allem von deren Gerüche, ausgehen. Ja, einzelne
Sexualforscher, wie Havelock Ellis, gehen so weit, zu erklären
, daß Ekel gegenüber den Exkretionen der Geliebten
geradezu krankhaft wäre. —
Es fragt sich nun inbezug auf den Liebeszauber, ob
die zweifellos bestehende Reizempfänglichkeit so ausgeprägt
ist, daß eine Reaktion auf die spezifischen Reize auch dann
eintritt, wenn der zu Bezaubernde von deren Beibringung
nichts weiß, ja nicht einmal etwas ahnt. Denn allein darum
handelt es sich! Ein Liebender wird mit Behagen aus
dem durchschwitzten Schuhe der Geliebten trinken, wie
dies beispielsweise der Vetter und spätere Gatte der um
die Mitte des vorigen Jahrhunderts sehr beliebten Roman-
ciere Ida von Hahn-Hahn tat. Der Gleichgiltige aber oder
gar der Abgeneigte wird sich zu demselben Akte nicht
verstehen; noch viel weniger wird er wissentlich irgend
welche anderen Sekrete oder Exkremente zu sich nehmen-.
Dennoch ist die Wirkung derartiger Eingaben nicht zu
leugnen. Um sie zu verstehen, müssen wir uns an das
erinnern, was Paracelsus über die „Mumie* sagt: „Denn
ein jedes Corpus, dem ein lebendig Mumie wird beigebracht
von einem Menschen, desselbigen Corpus wird alsbald zu
einem Magneten, und ist hierbei anders nicht zu verstehen,
denn zwischen einem Magneten und einem Eisen, die allezeit
einander anhängen, nachgehen und nachfolgen/ Unter
„Mumie* versteht Paracelsus eben jene zu Zauberzwecken
benutzten Substanzen. Das Wirksame in ihnen dürften
aber jene feinen Stoffe sein, die Prof. G. Jäger „Lebensagens
* nennt. Diese Stoffe sind Abspaltungen des Protoplasmas
, die während des andauernd stattfindenden Zersetzungsprozesses
im Körper frei werden.
Prof. Dr. Gustav Jäger betrachtet in seiner „Entdeckung
der Seele* im Geruch dieses Lebensagens als den unmittelbaren
Erreger sowohl* seelischer Zustände, als auch
körperlicher Gefühle. Es ist nun anzunehmen, daß mit der
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