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218 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 4. Heft. (April 1910.)
Sorge mitzuteilen. Seine Antwort benachrichtigte uns, daß
er sehr krank war und glaubte, sterben zu müssen. Mein
Brief, welchen er erst vor einigen Tagen zu lesen imstande
war, hätte ihm eine große Freude bereitet. Drei Jahre
später trafen meine Mutter und ich S— in London. Man
kam auch auf Träume zu sprechen. Ich sagte: „Ich hatte
vor drei Jahren, als Sie so krank waren, einen seltsamen
Traum/ und erzählte denselben. Da sah ich, wie Uber-
raschung sich in seinen Zügen malte, und, als ich geendet
hatte, sagte er mit tiefer Bewegung: „Das ist wirklich seltsam,
denn ich hatte eine oder zwei Nächte, ehe Ihr Brief kam,
auch einen Traum, der das wahre Gegenstück zu Ihrem
Traume ist. Ich glaubte, daß ich sterben müsse und nahm
Abschied von meinem Bruder. „Kann ich irgend etwas
für dich tun, ehe du stirbst?* fragte er mich. »Ja/ erwiderte
ich in meinem Traum, »zwei Dinge: Sende zu
meiner Freundin A. M. H—; ich muß sie sehen, ehe ich
sterbe/ »Unmöglich,* sagte mein Bruder, »das wäre unerhört
, sie würde nicht kommen.a »Sie wird,* behauptete
ich im Traume; »ich möchte auch meine Lieblings-Sonate
von Beethoven hören, ehe ich sterbe.* „Aber dies sind
Kindereien,* sagte mein Bruder streng. „Hast du keine
ernstere Wünsche in solcher Stunde?* »Nein; meine
Freundin A. M. zu sehen und jene Sonate zu hören, das
sind meine einzigen Wünsche.* Und während ich so
sprach, sah ich Sie eintreten. Sie kamen an mein Bett
mit heiterer Miene, und während die gewünschte Musik den
Baum erfüllte, sprachen Sie mir Mut zu und sagten, ich
werde nicht sterben.*
Da ich die Erzählerin gut kenne, sagt Dale Owen,
so kann ich für die Wahrheit dieser Erzählung einstehen;
sie zeigt das seltene und merkwürdige Phänomen zweier
zusammentreffender und gleichzeitiger Träume. —
Das folgende Beispiel erzählt Abercrombie als unzweifelhafte
Tatsache. Es begegnete dem verstorbenen
Rev. Josef Wilkins, nachmals Geistlicher zu Weymouth in
Dorsetshire, als er 23 Jahre alt war (1754). Er starb im
siebzigsten Lebensjahre und in der Totenliste des »Gentle-
man's Magazine* ist der Notiz über seinen Tod beigefügt:
»In liberaler Gesinnung, Edelmut und Redlichkeit hatte er
wenig seinesgleichen und schwerlich gab es jemand, der
ihn hierin übertroffen hätte.* Wilkins schreibt selbst*: „Als
ich mich eines Nachts niederlegte, schlief ich rasch ein und
träumte, daß ich nach London ging. Ich dachte, es sei
kein großer Umweg, wenn ich durch Gloucestershire ginge,
um dort nach meinen Lieben zu sehen. Ich tat es; aber
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