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226 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 4. Heft. (April 1910.)
Von den übrigen Gutachten, welche sich dem Inhalte
nach mit dem bisher Gesagten so ziemlich decken, macht
das des Nervenarztes Dr. Wilhelm Stekel eine rühmliche
Ausnahme, weshalb ich dasselbe hier vollinhaltlich wiedergeben
will. Er schreibt:
„Dieses Phänomen der Gedankenübertragung hat für
mich das Rätselhafte und Wunderbare verloren, seit die
Röntgenstrahlen und die Telegraphie ohne Draht uns eine .
Fernwirkung kennen gelernt haben, die wir'uns vor Jahrzehnten
nicht haben träumen lassen. Alles in der Welt ist
Strahlung, alles ist Schwingung.^ Wir müßten uns derartige
Phänomene vorstellen wie eine Telegraphie ohne Draht.
Das Gehirn des Auftraggebers ist der die Wellen absendende
Apparat. Natürlich gehen wir von dem Gedanken
aus, daß der Denkprozeß, der sich im Großhirn vollzieht,
auch ein Schwingungsprozeß ist. Das Gehirn Bellings wirkt
wie der Marconi'sche Empfangsapparat (Kohärer). Dieses
Phänomen, das ich die „Sprache ohne Worte" nenne, ist den
Psychologen seit vielen Jahren wohl bekannt. Zuerst haben
wir es an den telepathischen Träumen kennen gelernt. Wer
Näheres darüber erfahren will, kann es in dem interessanten
Buche „L'inconnu" von Flammarion oder in der bekannten
dickleibigen Sammlung der englischen Gesellschaft für
psychologische Forschung: „The Phantasms of the Living*
nachlesen. Diese Gesellschaft hat ein geradezu ungeheures
Material zusammengestellt, wobei sie ganz besonders kritisch
zu Werke ging. Der Träumer müßte seinen Wahrtraum
vorher mehreren glaubwürdigen Zeugen mitgeteilt haben,
ehe die Bestätigung dieses Traumes eingetroffen war. Ich
selbst besitze schon eine Sammlung von zirka zwanzig telepathischen
Träumen, die mir alle bestätigen, daß unter gewissen
Umständen Gedanken der einen Person sich auf
andere Personen übertragen lassen, wobei die Entfernung
eigentlich gar keine Rolle spielt. Es gibt auch eine Menge
historischer Beispiele für die Erscheinung. Ich verweise
nur auf das berühmte Beispiel Garibaldis, der, an Bord
eines Schiffes sitzend, plötzlich das Bild seiner geliebten
Mutter auftauchen sah, die gerade im Sterben lag, und zwar
mit allen Details, die ihm später von Augenzeugen, welche
beim Tode der Mutter zugegen waren, mitgeteilt wurden.
Diese Art des telepathischen Traumes, die „Anmeldung" von
Sterbenden, ist die häufigste und bekannteste des Fernsehens
. — Auch das Hellsehen im vollen Bewußtsein ist
durch historische Beispiele verbürgt. Bekannt ist ja der
hellseherische Blick des Swedenborg, der mitten in einem
Gespräche plötzlich erbleichte und der bestürzten Gesell-
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