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Ein Traumdichter.
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bewußtsein" ist für den Materialisten die große Vorratskammer
des Unerklärlichen, das große X., das wissenschaftlich
klingende Wort, in dem alles Unerklärliche der oben
erzählten Art untergebracht wird. Dieser junge Mann
hat offenbar einmal irgendwo jene 50 Gedichte gelesen und
im Unterbewußtsein aufgespeichert. Im normalen Wachzustände
erinnert er sich dessen nicht mehr; aber im sogenannten
„Trans" wachen diese Erinnerungen wieder auf.
Er fühlt sich dann selbst als Dichter; er spielt die Rolle
des Dichters; denn das „Unterbewußtseintt — das heben
alle Forscher dieser Gattung hervor — ist ein ungeheuer
talentierter Schauspieler, führt die Rollen erstaunlich durch
oder spielt oft mehrere Rollen hintereinander. Es — das
Unterbewußtsein — gibt sich als „Geist X.Ä oder „Erich*
oder sonst irgend ein fremdes Wesen aus und spielt dann
diese Rolle mit fabelhafter Begabung.
Dem treten die Spiritualisten und die Theosophen
gegenüber. Die Erde samt dem Weltall, sagen sie, wimmelt
von unsichtbaren Wesen aller Stufen und Gattungen.
Wenn des Menschen Körper stirbt, so löst sich ein feinerer
Körper von der grobstofflichen Materie los und lebt in den
feineren Elementen der sogenannten Astralwelt weiter —
genau als die seelische und geistige Persönlichkeit, die sie
auf Erden war, mit der ganzen Summe von Schuld und
Verdiensten, die sie hier" eingesammelt und in sich eingebaut
hat. Xu unserem obigen Falle, würde also der Spiritist
sagen, hat sich ein Geist, der zwischen 1820 und 1840
etwa als Mensch gelebt haben mag, des Mediums bemächtigt
, um durch das auffallende Diktat jener Gedichte
einen Beitrag zu liefern zu der großen, jetzt dem Materialismus
gegenüber zum Durchbruch drängenden Frage: Ist
des Menschen Seele ein selbständiges, unsterbliches Wesen ?
— Der Herausgeber des obengenannten Buches legt dies
Problem ausführlich dar. Er selbst aber behält seine letzte
Meinung über seinen Besucher „Erich" für sich. Und er
überläßt es auch dem Leser, eine Wahl zu treffen oder die
schwierige Frage vorerst noch offen zu lassen, bis sich
dieses verworrene Gebiet einigermaßen geklärt haben wird.*)
*) Über die hellseherische Fähigkeit des jetzt mit dem approb.
Apotheker H. Wagner (Mülhausen i. R, Züricher Straße 7) zusammenarbeitenden
„Schläfers* (Somnambulen) gab das Landgericht
von Mülhausen in seinem Urteil vom 22. Juni 1908 als Tatsache
zu: „daß in vielen Fällen in der Tat die richtige Diagnose der
Krankheit gestellt worden zu sein scheint, und daß dieser Umstand
Beziehungen und Kräfte vermuten läßt, die von der Wissenschaft
noch nicht aufgeklärt sind/
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