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236 Psychische Studien. XXXVJLI. Jahrg. 4. Heft. (April 1910.)
Okkultismus und Wissenschaft.
Eine Betrachtung von Fritz Feerhow-Wien.
In Schopenhauers „Parerga und Paralipomena* finden
wir den Ausspruch: „Wer heute noch an den Tatsachen
der Somnambulismus zweifelt, ist nicht ungläubig, sondern
unwissend zu nennen.* — Diese oft zitierten Worte hatten
zu jener Zeit auch schon ihre volle Berechtigung. Ob sie
jetzt wohl auch schon auf den Spiritismus anwendbar sind ?
Gewiß, und mit vollem Eecht!
Diese Behauptung ist gerechtfertigt durch die Fülle
des seit einer langen Reihe von Jahren angehäuften und
in der Hauptsache unanfechtbaren Tatsachenmaterials; sie
wird auch nicht entwertet durch die berechtigte gegnerische
Einwendung, daß, soviel auch auf diesem Gebiete mit
regstem Eifer gearbeitet wurde, über die Kardinalfrage des
Spiritismus, ob jene „Spirits" wirklich die lebendigen überirdischen
Existcnzgestalten unserer verstorbenen Mitmenschen
darstellen, wie sie selbst angeben und wie der
Spiritist mit ihnen glaubt, noch keine offizielle beweisgültige
Endesentscheidung gefällt sei; denn einerseits wird
kein Vernünftiger einer Wissenschaft deshalb ihre Bedeutung
absprechen, weil sie erst in der Entwickelung begriffen
und noch nicht abgeschlossen ist; und andererseits ist diese
Wissenschaft die einzige, welche empirisch das Fortleben
und das Wesen des Jenseits erforscht. Diese Frage, sollte
man glauben, muß doch für jedermann solche Bedeutung
oder solches Interesse zumindest haben, daß es keinen
wissenschaftlich auch nur oberflächlich Gebildeten geben
sollte, der ihr nicht wenigstens längere Zeit des Nachdenkens
gewidmet und einige Mühe darauf verwendet hätte,
sich in der Literatur näher umzusehen, die dieses Problem
zum Mittelpunkt ihres Forschens und Arbeitens erhoben
hat, im Spiritismus.
In Wirklichkeit aber sieht man, daß das nur bei einem
verhältnismäßig kleinen Bruchteil der „Gebildeten" der
Fall ist. Von den anderen ist ein Teil viel zu beansprucht
von den eigenen Leibes- und Lebenssorgen, ihren Vergnügungen
und Gesellschaftspflichten, um für solche philosophische
Fragen noch Zeit übrig zu haben; die anderen
sind viel zu „aufgeklärt*, um über solche von vornherein
lächerliche Phantasmagorien, wie sich ja der ganze Unsterblichkeitsglaube
für sie darstellt, sich auch nur Gedanken zu
machen. Diese zwei Gruppen aber, im Verein mit jenen,
deren intellektuelles Niveau überhaupt nicht an Solche
Probleme heranreicht, sind zum Glück für das Schicksal
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