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280 Psychische Studien. XXXV1L Jahrg. 5. Heft. (Mai 1910.)
Forschungsergebnisse, zu denen die S. P. R. mit der Frau
Piper, Plournoy mit Helene Smith, oder P. Janet
mit seinen Hysterisehen gelangt sind, tat Erichsen keine
Erwähnung. Diese grundlegenden Forschungen bildeten
aber auch für ihn die Operationsbasis. Um so ausführlicher
widmete er sich der Aufgabe, der Ursache und der
vielfachen Wirkungen der sogen. „Zitterbeweg ungen",
wie A. Lehmann sie nennt, zu erklären und zu demonstrieren
. Sein Gedankengang war ungefähr der folgende:
Denken ist ein Bewegungsvorgang. Jede Bewegung
wird aber von ihrem Entstehungsort wellen- oder strahlenförmig
weitergeleitet. Jeder Gedanke, jede Vorstellung
äußert sich demnach in gewissen Bewegungen des Körpers,
resp. bestimmter Gliedmaßen, z. B. der Hand. Die Arbeit
des Unterbewußtseins äußert sich im gewöhnlichen Leben
namentlich in psychisch bedingten Ausdrucksbewegungen.
Mimik, Pantomimik; aber auch der Blutdruck, die Atmung
werden durch unsere Vorstellungen und Gefühle beeinflußt.
Die physiologischen und psychologischen Laboratorien besitzen
nun geeignete Apparate (Palmo&raphen, Sphygmo-
gmphen), um gdiese ÄlkürlLhen Bergungen" L-
zeichnen. Bei der Beschreibung derartiger Instrumente und
Versuche brauche ich nicht zu verweilen. A. Lehmann
hat ihnen in seinem vortrefflichen Buche „Aberglaube und
Zauberei" (2. Aufl. 1908) ein ausführliches Kapitel gewidmet
. Auf eine derartige unwillkürliche Muskeltätigkeit, die
bekanntlich nicht bloß bei bewußten, sondern ebenso bei
unbewußten Zuständen des Seelenlebens auftritt, ist z. B.
das primitive Tischrücken, oder das sogen. Gedankenlesen
(besser: „Muskellesen*) zurückzuführen — ein Experiment,
das Erichsen sehr schön und auch praktisch vorführte.
Das nächste große Gebiet, das zur Erklärung einer
Reihe wunderbarer spiritistischer Manifestationen heranzuziehen
ist, ist das der Sinn es täusch ungen. Im Gegensatz
zu den einfachsten Lebewesen auf der untersten
Sprosse des Tierreichs, die mit der Genauigkeit einer Maschine
auf Reize reagieren, ist der Mensch, der einen höchst
komplizierten Energiekomplex darstellt, als das höchst-
stehende organische Wesen am meisten den Sinnestäuschungen
ausgesetzt. Wir alle sind ständig allen möglichen
Suggestionen unterworfen. Gewöhnlich werden wir uns
de^ Einflusses derselben nicht klar bewußt. Sie können
sich aber bei Gelegenheit bis zu regelrechten Halluzinationen
steigern. Als ein besonders günstiges Feld erscheinen
dafür die spiritistischen Sitzungen, bei denen
Glaube, Wunsch, Phantasie, Erwartung und Erregung, zu-
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