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Freudenberg: Der spiritistische internationale Kongroß. 323
Redner schilderte zunächst das völlige Versagen von
Wissenschaft und Religion. Die Wissenschaft, sagte er,
falsch im System, hat sich im Detail verloren. Sie erkennt
nicht die Gesetzmäßigkeit des Ganzen. Sie verschafft uns
keinen Einblick in die Grundlagen des Lebens in moralischer,
sozialer und religiöser Beziehung und arbeitet nicht für
den Fortschritt der Menschheit auf dem Wege zum Ewigen,
zum Unendlichen. Es bedarf einer Erneuerung und diese
kommt. Schon sind die Vorläufer erschienen und an Vorzeichen
hat es nicht gefehlt, denn große Ereignisse werfen
ihren Schatten voraus. Für neue Ideen bedarf es auch
neuer Menschen, neuer Geister. Die Universitäten und
Kirchen können uns solche nicht liefern. Und doch wird
das 20. Jahrhundert, wie das 19. das Jahrhundert der
Materie war, das Jahrhundert des Geistes werden. Erlebt
auch der Vorläufer nicht mehr die Verwirklichung der
neuen Ideen, so streut er doch die Saat. Solche Saat gesäet
haben ein de Rochas, RusselWallace, Jean
Reynaud, Crookes, Aksakow, Myers. Die soziale
Entwicklung denkt sich Redner im individualistischen
Sinne, und die Doktrin, welche an Stelle der alten Wissenschaft
und Religion treten soll, ist nach ihm der Spiritismus
. .Nicht ein chimärischer Spiritismus, sondern ein solcher,
der auf Tatsachen begründet ist. Und nun zählt er alle
moderne Erfahrungen und Experimente auf, durch welche
das Fortleben der menschlichen Seele bewiesen wird. Er
spricht vom Aufschwung des menschlichen Geistes durch
das Gebet, von der Telepathie, die uns zum Verkehr mit
anderen Gestirnen führen werde, und sagt: „Spiritismus
praktizieren heißt Solidarität pflegen! Das Gesetz
der gegenseitigen Anziehung regiert Körper und Geist.
Und somit gibt es keinen Todesschrecken mehr und keine
Einsamkeit, denn alles ist ewig lebendig und ewig mit einander
verbunden. Die Welt ist eins, die Menschheit eine
große Familie. Die neue Religion kennt keine Unterschiede
des Glaubens, des Standes und der Nationalität mehr. Was
wir Tod nennen, ist nur ein Freiwerden der Seele zu neuem
Fortschritt im Kreislauf durch die Körper und die Gestirne
hindurch. Der Weg ist lang, die Bahn rauh, aber das Ziel
ist herrlich, es führt zur „grande Communion universelle*,
zum Einssein im All." Redner dankt den Zuhörern für ihre
Aufmerksamkeit uud spricht ein Mahn wort aus. rWenn
Prüfungen kommen, und sie kommen für jeden, wenn Ihr
dieses irdische Leben auch entschwinden seht, dann denkt
an das Leben, an die Leben, welche euch bestimmt sind.
Vertraut dem Schicksal, es macht es gut mit euch, es führt
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