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v. Schnellen: Haeckel's „Stammesgeschichte des Bewußtseins*. 341
Leider ist nur die Annahme unbewußter Empfind-
ungen, auf die sich diese ganze Erklärung stützt,
schlechterdings unhaltbar, ja ein offenbarer Widersinn.
Denn „Empfinden" bedeutet ja gerade das seelische „In-
sichfinden" oder das „Vorfinden eines Eindruckes im Bewußtsein
*. Und wenn Haeckel davon spricht, daß die
äußeren physikalischen Reize in der Großhirnrinde „subjektiv
in Vorstellungen umgesetzt * werden (L. 117 u. a.),
so bezeichnet er damit die Empfindung selbst schon als
ein subjektives, innerseelisches Sein. Das subjektive, innerseelische
Sein aber, im Gegensatz zu dem äußeren, objektiv-
realen Sein der Materie, ist eben das Bewußtsein. Und
was in den „Welträtseln44 als besonderes Merkmal des Bewußtseins
hingestellt wird, nämlich daß es niemals objektiv
und von außen, sondern immer nur auf subjektivem Wege
von innen erforscht werden kann (W. 42, 71; L. 9), das
gilt auch schon von der einfachsten Empfindung des einzelligen
Lebewesens. Auch sie kann immer nur mittelbar
erschlossen werden (W. 71) und kennzeichnet sich eben
dadurch nach HaeckePs eigenem Maaßstab als Bewußtsein.
Jede Empfindung also ist notwendig immer bewußt:
sie ist entweder als bewußte oder sie ist überhaupt nicht.
Und das gleiche gilt vom Gefühl. Und selbstverständlich
auch von jenen höheren seelischen Gebilden, die sich aus
Gefühlen und Empfindungen aufbauen, wie z.B. Anschauungen
, Wahrnehmungsbildern, Gemeinvorstellungen usw.
Sie alle sind als seelische „Erscheinungen" oder „Phänomene41
notwendig auch mit Form des Bewußtseins behaftet;
sie sind entweder als bewußte oder sie sind gar nicht.
Denn darin, daß sie bewußt werden, besteht ja gerade
Schwingungszahl pro Sekunde). Wenn Newton's und van der
Weyde's Beobachtungen richtig sind, so würden sie zur Unterstützung
der Theorie dienen, daß zwischen den molekularen Schwingungen
der einzelnen Töne, welche die Tonleiter hilden, und den
Ätherschwingungen, welche die Farben des Sonnenspektrums ausmachen
, ein Verhältnis besteht. Es wäre von Interesse, die Art der
Experimente zu kennen, durch welche diese Schlüsse gewonnen
wurden. Ich denke, daß durch eine Modifikation (Abänderung) von
Prof. Graham BelPs Versuchen etwa in der Art, wie ich sie vorschlug
, in diese Sache Licht gebracht werden könnte. Bei einer
solchen Erforschung wäre es von keinem Belange, ob die hervorgebrachten
Töne ihre Entstehung den Schwingungen von Stoffteilchen
in einer Pfeife verdanken oder ob sie von einer gespannten
Saite herrühren, vorausgesetzt, daß das Verhältnis zu den besonderen
Farben konstant befunden würde. Falls diese Verbindung
zwischen Musik und Farbe festgestellt werden kann, ließe sich dies
graphisch darstellen, indem man eine Skala der Farben des Sonnenspektrums
anfertigt und die verschiedenen Noten der diatomischen
Tonleiter in die ihnen entsprechenden Farben setzt.
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