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376 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1910.)
das Aufgegriffene weiter fort zu einer Reihe von „Mitteilungen
aus dem Jenseits*, die unter andächtigem Staunen
von den Zirkelteilnehmern entgegen genommen wurden.
Oft wurde alles nachstenographiert und ganze Bücher
angefüllt mit Reden, die nicht den allergeringsten Wert für
eine wissenschaftliche Forschung besitzen. Ich erinnere
mich vieler solcher Bücher und habe mir auch oft die
Mühe genommen, einzelnen genaueren Angaben nachzuforschen
. Fast immer aber konnte ich leicht feststellen,
daß sie sehr gut dem Gedächtnis des Mediums entstammen
konnten. So gab einmal ein Medium eine genaue Jahreszahl
an, die im Leben des „Geistes", der sich gerade mitteilte
, eine bedeutende Rolle gespielt haben sollte. Aber jene
Zahl stand als Gründungsjahr des Geschäftes auf der
Schaufensterscheibe des Hauses, in dem die Sitzung stattfand
. Das Medium war dort vorübergegangen und hatte
sie sicher gesehen, als es zur Sitzung ging. Was war also
leichter, als jenen Gründer des Geschäftes als Geist auftreten
zu lassen, ihm jene Jahreszahl in den Mund zu legen
und ihn ganz so auftreten zu lassen, wie er es zu Lebzeiten
gewohnt war, sich zu geben. Es stellte sich nämlich
noch heraus, daß vor der Sitzung dem Medium Verschiedenes
von jenem Verstorbenen erzählt worden war, als man davon
sprach, daß und warum sein Sohn, der jetzige Besitzer des
Hauses und Geschäftes, dem Spiritismus abgeneigt sei.*)
Ein ander Mal erzählte ich in einer Sitzung ganz beiläufig
, wie leicht irrende Geister zu bekehren wären, wenn
sie dureh's Medium zu uns sprechen. Und sogleich durfte
ich Zuhörer sein von einer derartigen Szene. Es kam ein
früherer Bürgermeister einer bekannten Stadt, wo das
Medium früher gewohnt hatte, und fing an zu jammern
und zu verzweifeln über sein früheres Leben. Der Schützer
des Mediums suchte ihn aufzuklären, was nach einigem
Hin- und Herreden auch gelang. Als das Medium wieder
zu,sich kam, sah es mich lalb Wtuagsvoll, halb triam-
phierend an.
Aber ich konnte nachher den Gesprächen des Mediums
mit seinem Schützer sehr gut entnehmen, daß ihm die
Lebensverhältnisse und Charaktereigentümlichkeiten jenes
Bürgermeisters ganz gut bekannt waren. Es war also wohl
*) Ein sehr instruktiver Fall! Auch Unterzeichneter machte
bei früheren Sitzungen der „Psychol. Gesellschaft* in Stuttgart
dann und wann die Erfahrung, daß scheinbar frappante „Identitätsbeweise
* vielfach auf bewußter und noch häufiger auf latenter Erinnerung
(Kryptomnesie) an Gesehenes oder Gehörtes beruhen.
M a i e r.
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