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Oiencus: Aus den Akten einer geistlichen Oberbehörde. 885
eine kleine, ältliche Frau mit rotem Eock und blauer
Schürze in ihr Zimmer treten sehe, bei deren Anblick sie
sich jedesmal von panischem Schrecken gelähmt fühle.
Sie behauptete mit aller Bestimmtheit, daß es keine
Täuschung gewesen, da sie nach dem Weggehen ihres
Mannes wachend im Bett gesessen; und kaum habe sie noch
leise Tritte auf der Straße gehört, so sei schon wieder die
alte Hexe vor ihr gestanden, habe sogar einmal nach ihr
geschlagen, ihr die Decke weggerissen usw. Als abends
ihr Mann kam, klagte sie ihm ihr Leid; er freilich lachte
über die abenteuerliche Erzählung seiner Frau und suchte
die vermeintliche Gesichtstäuschung durch ihre gesegneten
Umstände — (sie war seit einiger Zeit in der Hoffnung) —
zu erklären.
Die arme Frau mochte wohl auch 14 Tage lang geplagt
gewesen sein, als der Schrecken, den sie dabei ausgestanden
hatte, eine Frühgeburt zur Folge hatte. Dieselbe
Nacht wachte der Mann jener Frau als Krankenpfleger und
es konnte etwa um 4 Uhr morgens gewesen sein, als seine
Aufmerksamkeit auf eine feurige Erscheinung gelenkt wurde,
die gleich immerwährend zuckenden Blitzen ein ganzes
Flammenmeer vor dem Fenster bildete. Er schaute lange
an diese seltsame Erscheinung hin, als plötzlich, wie mit
einem Donnerschlag, das Feuer in dem Zimmer sein Unwesen
trieb, so daß der Herr H... nichts anderes glaubte,
als das Zimmer stehe in hellen Flammen. Er wollte aufspringen
und um Hilfe rufen; doch wie mit eisernen Fesseln
angeschmiedet konnte er sich nicht bewegen, nicht schreien.
Es war eine förmliche Lähmung in jedem Gliede seines
Körpers eingetreten. Unterdessen fing das Feuer gleich
sogenannten Pulver-Fröschen zu hüpfen an und verschwand
spurlos wieder gegen 5 Uhr morgens. Ja, eines Abends
sogar, als obengenannte Frau H. sich eben anschickte, zu
Bette zu gehen und mit dem Ablegen ihrer Kleidungsstücke
beschäftigt war, wurde sie wie von einer derben
Hand erfaßt und auf ihr Bett geschleudert.
In derselben Nacht klagte auch eine zweite Familie
Pf. keine Ruhe gehabt zu haben und Mann und Frau behaupteten
, in dem Zimmer nichts als Feuer gesehen zu haben,
welches aber nach einiger Zeit wieder verschwand. In der
zweiten Nacht zeigte der ungeladene Gast etwas fühlbarer
der Familie Pf. sein Dasein. Als Frau und Kinder zu
Bette gegangen waren, wollte der Herr Pf. diese Nacht mit
Wachen zubringen, um der gestrigen rätselhaften Erscheinung
vielleicht doch auf die Spur zu kommen, und ließ deshalb
vor sich auf dem Stuhl das Licht brennen. Doch er war
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