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Kaindl: Ton und Musik.
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jedes Tones von verschiedener Stufe mit annähernder Genauigkeit
bildlich wiedergeben und die erhalten wurden,
als sich bei den Schwingungen der Töne das Eidophon mit
gleichmäßiger Geschwindigkeit über die Glasplatte bewegte.
In der letzteren wird das Glas in gerad- oder krummlinige
Bewegungen von gleicher Geschwindigkeit versetzt,
welche eine annähernd richtige Registrierung der Schwingungszahlen
der verschiedenen Intervalle der Tonleiter zur
Folge haben.
Die sechste Abbildung zeigt uns eine Figur, die wegen
ihrer Ähnlichkeit mit einer gewissen Art von Farnkraut
die „Hugh Lloyd'sche Farnkraut-Varietät* genannt wird
und unter Anwendung desselben Verfahrens, wie bei obigen
krummlinigen Gebilden hervorgebracht wird, nur daß die
Farbe in einem feuchteren Zustande angewandt wird. Diese
Figuren verlangen zu ihrer Erzeugung eine besonders geschickte
Behandlung. —
Die obigen Beispiele mögen zur Erläuterung der Hauptklassen
dienen, in die sich die Eidophon-Stimmfiguren einteilen
lassen; doch ist die Anzahl der Varietäten, welche
sich in jeder von ihnen erzielen lassen, nahezu unendlich,
wovon man sich durch die Lektüre von Mrs. Watts Hughes'
bezaubernd geschriebenem und reich illustriertem Buche
„Die Eidophon-Stimmfiguren* und durch mit Geduld und
Geschick angestellte eigene Versuche mit dem von ihr erfundenen
Eidophon selbst überzeugen kann. Man wird aber
nicht nur finden, daß diese Figuren regelmäßige geometrische
Formen annehmen, sondern daß auch, bei einigem Geschick
in der Behandlung des Apparates, die verschiedenartigsten
Formen von Blüten, Farnkräutern, Bäumen, ja
selbst Landschaften vermöge der Wirkung, welche die
harmonischen Schwingungen der Menschenstimme auf
Materie ausüben, naturgetreu erzeugt werden können.*)
*) Anmerkung des Übersetzers. In Anbetracht der in der
Menschenstimme liegenden Gestaltungskraft erhält die dunkle Stelle
der Bibel „Am Anfange war das Wort, und das Wort war bei Gott,"
worüber auch Goethe seinen Faust grübeln läßt, eine eigene Beleuchtung
, f) Vielleicht liegt es nur, wie bei der im Eintrocknen
begriffenen Wasserfarbe, an einem Mangel an Bildungsfähigkeit des
Mediums, der groben Materie, daß die inneren Harmonien der im
Weltenali sich offenbarenden Urkraft nicht in allen seinen Teilen
zum Ausdruck gelangen können? Wenigstens zeigt sich dies in
f) Bekanntlich hat Luther in dieser Stelle das griechische Wort „Logos" in seiner
häufigsten Bedeutung rWort" als ausgesprochener Gedanke genommen, während es
richtiger Weise mit „Geist" zu iihersetzen war (im Sinne des jüdischen Philosophen
Philon in Alexandria und der hebräischen — den semitischen Nomadenvölkern nahe
liegenden, rein spiritualistisehen — Grundanschauung, wornach rGott" a]s der ab so
lute Geist die ganze sichtbare Welt, wie eine Fata Morgana in der Wüste, aus dem
Nichts erschaffen hätte). — Red.
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