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402 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1910.)
In obigen Beispielen haben wir dem Einfluß dieser
Schwingungen auf Materie in verschiedenen Aggregatzuständen
, nämlich in dem festen, zähen und flüssigen, eine
kurze Betrachtung gewidmet. Dürfen wir an der Möglichkeit
zweifeln, den Beweis zu erbringen, daß diese Vibrationen
in den verdünnteren Formen von Materie, im Gas
und im Äther, ähnliche Schwankungen veranlassen? Hier
jedoch überschreiten wir, besonders in dem letzteren Falle,
die Schranken der objektiven (äußeren) Sinne (außer es
wäre in gewissen anormalen Zuständen des hypersensitiven
Sehens möglich?) und gelangen zu einer „terra incognita",
einer auffallenden Weise beim Menschen; denn je mehr er sich in
die Bande der groben Materie verstrickt und sich dem harmonisierenden
Einflüsse der feineren Kräfte des Unterbewußtseins entzieht
, nähert er sich allmählich jenem starren Zustand, der von
unseren modernen Ärzten vielfach als der „normale* gepriesen wird
und der sich vorwiegend durch GemütlosigkeitMangel an Phantasie
, Moral und Individualität kennzeichnet. Übrigens ließe sich
der „Normaltypus* der menschlichen Spezies auch durch das Bild:
„Gerechtigkeit* mit hübschem, rundem Bauch, „mit einem fetten
Kapaun gefüllt*, das uns Shakespeare vom Richterstande entwirft,
zur Genüge charakterisieren, weii es uns zeigt, wo bei diesem Tvpus
der Schwerpunkt seiner Interessen zu suchen ist. Ich bezeichnete die
Repräsentanten dieses Mustertypus der menschlichen Spezies schon
seit langem als „tote Seelen* und war überrascht, vor kurzem in
einer der Schriften des hervorragenden Philosophieprofessors
Eucken diesen Ausdruck in einem ganz ähnlichen Sinne gebraucht
zu finden. — Seitdem obiges Ideal vom Menschen vermöge
des Terrorismus einer dominierenden philosophischen Sekte —
hauptsächlich unter dem Einfluß materialistisch geschulter Ärzte —
einerseits und infolge der Suggestibilität der Menge andererseits
zum herrschenden gfworden ist, haben sich die Dissonanzen unseres
sozialen Lebens in einer besorgniserregenden Weise verschärft, woraus
wir erkennen sollten, daß man sich der Quelle aller Harmonie,
dem Unterbewußtsein oder der Seele, nicht ungestraft verschließen
kann. Daß diese Verbindung mit dem Urquell des Lebens heute
nahezu zerstört ist, das ist eben das traurige Verdienst obgenannter,
sich neuerdings „ Monisten * nennender Materialisten, indem sie
alles, was aus dieser Quelle fließt, durch Spott und Mohn zu diskreditieren
suchen. Auf diese Weise ist es dahin gekommen, daß
jeder, dem der innere Born noch quillt oder der sich in seinem
Denken, in seinem Tun und Lassen von jener unterbewußten
Sphäre aus beeinflussen läßt und hierdurch in Widerstreit mit den
Dogmen jener Sekte gerät, von der durch sie mit Hilfe der Tagespresse
erzeugten öffentlichen Meinung als Phantast oder selbst als
Ifarr gebrandmarkt wird. (Ich erinnere hier nur an das, was Prof.
Zöllner widerfahren ist.) — Vor dieser allmählichen Erstarrung
unseres Gemüts- und Geisteslebens kann uns nur eine Wiederherstellung
der Verbindung mit den harmonisierenden Kräften des
Unterbewußtseins erretten. Wenn es gelänge, die menschliche
Organisation wieder derart zu verfeinern, daß die Kräfte des Unterbewußtseins
wieder Einfluß auf sie gewinnen und sich an ihr frei
betätigen können, dann würde auch unser individuelles und soziales
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