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404 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1910.)'
Ernst Haeckel's „Stammesgeschichte des
Bewußtseins".
Von Wilhelm von Schnellen, Freiburg i. B.
(Schluß von Seite 346)
Und daran kann auch alle Entwicklungslehre nichts
ändern. Gewiß werden auch wir sowohl im Laufe der
Stammesgeschichte, wie im Leben jedes einzelnen Menschen
oder Tieres eine allmähliche Entwiekelimg des bewußten
Seelenlebens anerkennen müssen und zwar in doppelter
Hinsicht. Einmal nämlich vereinheitlicht sich mit der zunehmenden
Einheit (Zentralisation) des Nervensystems notwendig
auch das bewußte Seelenleben (W. 48, 74). Und
zum anderen gewinnt mit der fortschreitenden Ausbildung
der Sinnesorgane und des Gehirns das Bewußtsein auch
einen immer reicheren Inhalt. Denn je mehr und je besser
ausgebildete Sinnesorgane ein Lebewesen hat, desto mehr
und feiner abgestufte Eindrücke der Außenwelt kann es in
sich aufnehmen. Und je größer und feiner gebaut sein Gehirn
ist, desto zahlreichere, stärkere und feiner unterschiedene
Gedächniseindrücke kann es in sich aufbewahren
(L. 115—126). Darin liegt der berechtigte, von ihm selbst
nur nicht klar erkannte Kern von HaeckeFs Ausführungen.
Ja, einmal lesen wir sogar ganz richtig: die Anwesenheit
eines nervösen Zentralorgans und hochentwickelte Sinnesorgane
seien „erforderlich, um das einheitliche Bewußtsein
zu ermöglichen" (W. 72; vgl. W. 52). Für gewöhnlich aber
verwechselt Haeckel eben das einheitliche, wenn nicht gar
das vernünftige Bewußtsein mit Bewußtsein überhaupt.
LTnd daraus entspringt dann sein irrtümlicher Glaube an
eine allmähliche Entstehung des Bewußtseins aus unbewußten
Empfindungen, während doch in Wahrheit mit
der ersten, noch so schwachen und undeutlichen Empfind-
unter allen Künsten unserem Innern so vor- oder
vielmehr nachtöne, ist aus den Zahlen ihrer Bewegungen
nicht ganz erklärlich. Sonderbar genug
bauen ihre körperlichen Bewegungen bestimmte
geregelte Klangfiguren, und diesesBauen
muß sich gar auf irgend eine Weise in den zärteren
Nerven fortsetzen; aber von hier aus haben wir
noch weit in die Tiefe des Geistes." (S. 110, 111.) — In
den neuen „Annais* von 1910 behandelt merkwürdigerweise eine
hochinteressante Studie jene Geistergeschichte über Miß Veal und
Miß Bargrave, die ich in meinem Aufsatze über „Spuk* aus Daumer
angeführt hatte (April 09, S. 213 ff.). Bei dieser Gelegenheit hegte
ich im Stillen den Wunsch, nähere Details darüber aus England zu
erfahren, und sonderbarer Weise hat sich so derselbe alsbald erfüllt
! • Kaindl.
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