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Zum Kapitel: „Ein Traumdichter."
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land beschäftigt sich schon seit Jahren eine bedeutende
„Gesellschaft für psychische Forschung* (Myers) mit diesen
Erscheinungen; dort sind wissenschaftliche Männer wie
Crookes und Wallace auf Grund ihrer Forschungen Spiri-
tualisten geworden. In Frankreich versuchen Gelehrte wie
Flammarion, Roehas, Eichet diese Vorkommnisse zu deuten,
mit Hinneigung zu spiritualistischer Auffassung. In
Deutschland hat sich seinerzeit Zöllner in einem vergeblichen
Kampfe zerrieben. Vor lauter „exakter Wissenschaft
* sind wir hierin ein befangenes Volk geworden;
unsere Forschung hat geradezu Angst vor der Möglichkeit,
es könnte auf experimentellem Wege ein „Ubersinnliches*
festgestellt werden — jenes fatale Ubersinnliche, das man
bisher der Philosophie und Religion überließ und aus dem
modernen, wissenschaftlich geschulten Bewußtsein möglichst
auszuschalten trachtete.
Für den tiefer Gegründeten, der seine Weltanschauung
geistig und seelisch erlebt hat, ist die Frage eines etwaigen
experimentellen Beweises nicht entscheidend. Ob dergleichen
gelingen oder mißlingen möge, das ist eine Sache
für sich. Und so habe ich mir diese Sitzung mit vorurteilsfreien
Augen angesehen. Das Medium wird mit
magnetischen Strichen in Tiefschlaf versetzt. Es liegt
schlaff im Sessel. Plötzlich ein Zucken, ein Arbeiten im
Körper, ein vermehrtes und lautes Atmen — es ist, als ob
ein elektrischer Strom in die schlaffe Körpermasse eindränge
. Und plötzlich spricht der gemütliche Ober-Elsässer
und Halbfranzose unter mühsamem Atmen und mit geschlossenen
Augen ein leises, aber deutliches Hochdeutsch.
Der Gesichtsausdruck verändert und veredelt sich. Er
spricht die erste Strophe des Beethoven-Gedichtes („Klangparadies
, dem Pöbelvolk verschlossen*) und fragt dann:
„Weißt du, wer ich bin?* Alle freuen sich, die unsichtbare
Individualität begrüßen zu dürfen; aber die Kraft
läßt nach, das Medium sinkt wieder in sich zusammen —
und der unsichtbare Gast ist fort, trotz alles Bittens des
Magnetiseurs und der Teilnehmer. Pause. Das Medium
liegt stumm. Dann wieder ein Stoß und ein Zucken, der
Wind fährt wieder in die Segel, es füllt und hebt sich —
und ein wieder ganz anderes Wesen formt sich den Gesichtsausdruck
. Es ist ein feiner Gelehrtenkopf. Er spricht
einige Worte über den Wert der wissenschaftlichen Forschung
; man fragt ihn, wo er herkomme. „Man hat mich
hierher geschickt, es sind noch nicht fünf Minuten verflossen
.* Es ist eine langsame, ausgesucht feine, ja vornehme
Sprechweise, leise, mit einer charakteristischen
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