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Jäger's „Entdeckung der Seele*.
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Unterschied ist auch, daß sie der Willkür nicht gehorchen,
vom Bewußtsein ausgeschlossen, der Kontrolle der Sinneswerkzeuge
entzogen sind und selbst keine Sinnesempfindungen
haben, sondern nur Gemeingefühle.
Was will nun diesem anatomisch physiologischen Befund
gegenüber, der sich vom Menschen angefangen bis
zum letzten Wurm fortsetzt, die alberne Behauptung, der
Mensch sei ein „Monismus*! Nein: die sich bewegenden
Lebewesen sind genau wie eine Uhr mit zweierlei grundverschiedenen
motorischen Einrichtungen versehen, um die
Gesamtmasse, d. h. den Körper, also den „tertius*, in Bewegung
zu setzen. Sie sind also kein Monismus, sondern
eine Trinität, und um sie zu definieren, braucht man drei
Worte: Eines für das "Ganze, d. h. die zu bewegende Last;
dafür hat man, seit man geordnete Sprache besitzt, das
Wort Körper oder Leib, das Ding, das eine endliche
Größe, eine bestimmte Form, ein bestimmtes Gewicht hat
und aus festen und flüssigen Teilen besteht. Hierzu müssen
treten zwei verschiedene Worte für die zweierlei grundverschiedenen
Motoren, eines für den Motor der Willkür
und eines für den der Unwillkür; und diese Worte sind
da, sie bestehen überall, wo es geordnete Sprachen gibt und
im Deutschen heißt man den Motor der Wilkür Geist,
den der Unwillkür Seele. Wer glaubt, man könne
die Worte beliebig verwechseln oder gar eines davon ent^-
behren, kennt seine Anatomie und Physiologie nicht und
ist technisch ein Konfusionsrat, praktisch kann er keinen
Hund vom Ofen locken. Wie macht man denn das? Antwort
: genau wie bei den leblosen Maschinen auf zweierlei
Weise. Bei der Uhr wendet man sich entweder an
den stetig treibenden Motor oder an den regulierenden
Motor. Beim Hund bringt ein Pfiff den Motor der Willkür
in Bewegung und der Geruch einer Wurst oder einer
Hündin den der Unwillkür, den Appetit nach Speise oder
Liebe*)
Die Erscheinungen der Unwillkür lassen sich in zwei
Worte zusammenfassen: Hunger und Liebe, und die hat
man jederzeit seelisch genannt, als Triebe, Affekte, Instinkte
bezeichnet und stets streng unterschieden vön den
Erscheinungen der Willkür, des Verstandes, des Gedächtnisses
u. s. f. Es wird sich jetzt nur darum handeln, ob
*) Der Schulschwätzer sagt daj „Das sind bloß zweierlei
SinneswerkzeugeI* Nein, sondern zweierlei MotorenI Auf den
Pfiff geht der Hund nicht ohne vorherige Dressur (Gedächtnis,
Belehrung, Erfahrung, Verstand), auf den Geruch ohne Dressur aus
Instinkt. Veratand ist geistig, Instinkt seelisch.
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