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460 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 8. Heft. (August 1910.)
nicht beabsichtigt, durch Einwirkung auf den Geist der
Tochter während des Traumes der Mutter Leben zu retten ?
Wenn wir diese Fragen verneinen, lehnen wir dann nicht
die klarsten Beweise ab ? Wenn wir aber zugeben, daß es
eine Warnung war, daß es Absicht war, — wer gab sie
dann? Welche Intelligenz hat sie beabsichtigt? Es kann
nur als ein Durchschneiden des gordischen Knotens angeschen
werden, wenn man die Theorie von den Schutzgeistern
aufstellt. Doch wenn wir diese verwerfen, haben
wir eine andere an ihre Stelle zu setzen?
Indes wir wollen vorläufig von dieser Hypothese absehen
und nur überlegen, wohin uns die Tatsachen, zu
denen wir — und sicherlich aus unverdächtiger Quelle —
gelangt sind, führen. Wenn wir sie als Tatsachen annehmen
, werden wir die regelrechten und unvermeidlichen
Folgerungen aus denselben ignorieren? Sollen wir mit
Macnish an der Erklärung festhalten, daß der Glaube an
die gelegentliche Kraft der Träume, uns einen Blick in die
Zukunft werfen zu lassen > eine so unphilosophische Anschauung
ist, daß sie nicht der Rede wert ist? Sollen wir
die Behauptungen gewisser Beobachter bezuglich der
höheren Phänomene, welche einige Stadien des Somnambulismus
charakterisieren, wie Hellsehen, Fernsehen und
jene Fähigkeit der Vorschau, ohne Prüfung mit Verachtung
und Spott auf die Seite legen, statt sie mit geduldiger
Sorgfalt zu prüfen?
Wenn wir, sagt Dale Owen, eine umfassende Anschauung
in dieser Frage gewinnen wollen, dann müssen wir
alle die verschiedenen Zustände des Hypnotismus in ihrem
gegenseitigen Zusammenhang studieren. Bevor wir zu den
Wundern des Mesmerismus schreiten, laßt uns die größeren
Wunder des Schlafes kennen lernen. Die Vernachlässigung
dieser Forschung ist am wenigsten zu rechtfertigen
in Ländern, in welchen die Bibel gelesen und deren
Lehre verehrt wird. Finden wir doch im alten, wie im
neuen Testament dieselbe Lehre, welche, wie Cicero sagt,
bei jedem Volke, sei es gebildet oder ungebildet, getroffen
wird, nämlich die Lehre, daß die Menschen in den Gesichten
der Nacht gelegentlich mehr erfahren, als sie im
Wachsein des Tages erdenken können.
Beispiele für diese Lehre finden sich in der Bibel fast
auf allen Seiten. Besonders das alte Testament ist voll von
solchen: der Traum. Abimelech's, der Traum Pharao's, die
Träume SauPs, Salomon's und Nebukadnezar's, und jene
Jakob's, Laban's und DaniePs beweisen es. Gehen wir zu
den Träumen im neuen Testament über, so finden wir, daß
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