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474 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 8. Heft. (August 1910.)
gericht I zu Berlin gefaßten Beschluß, das wegen Betruges
angeklagte Ehepaar Abend infolge mangelnden Beweises
außer Verfolgung zu setzen. Das allzu laute Vorgehen
der Gegner empfängt hierdurch einen wohlverdienten
Dämpfer. Denn wie man sich zu der bei den Abend's vertretenen
Richtung auch stellen mag, in objektiv gesinnten
okkultistischen Kreisen war man fast ausnahmslos der
Uberzeugung, daß wenigstens früher Frau Abend ungemein
sensitiv war. Sind aber einmal Ergebnisse sichergestellt,
so sind wir zu doppelter Vorsicht bei „Entlarvungen" verpflichtet
. Es ist mindestens unzweckmäßig, bereits in die
zweite oder dritte Sitzung Kriminalbeamte mitzunehmen,
nachdem man verdächtige Erscheinungen gesehen zu haben
glaubt. Wichtiger ist die Sammlung des Zeugnis-Materials,
das im vorliegenden Fall zudem besonders reich ist. Ich
habe mit Frau Abend seit acht Jahren experimentiert und
bei einem Rückblick auf die gewonnenen Erfahrungen muß
ich sagen, daß ich einige unzweifelhaft echte Beweise ihrer
Sensibilität empfing, dagegen andere Erscheinungen nur unzureichend
beobachten konnte; unzureichend vor allem für
ein negatives Urteil. Frau Abend ist ein ungewöhnlich
schwieriges psychologisches Objekt. Bei meinen Vorträgen
habe ich mich stets auf meine eigenen Erfahrungen mit
Frau Abend bezogen und freue mich, mein Urteil in keiner
Weise durch einen Richterspruch modifizieren zu müssen.
Dabei konstatiere ich noch das genaue Eintreffen einer
unmittelbar nach der Verhaftung mir medianim gegebenen
Voraussage, die ich vielfach kompetenten Zeugen weitergab,
daß die Abendaffäre einen dem Ausgang des Rotheprozesses
entgegengesetzten Verlauf nehmen werde Ist es nun nicht
so gekommen? —
Eine kurze Betrachtung läßt sieb noch anstellen über
das Verhalten der Presse in diesem und in ähnlichen
Fällen. Von uns Okkultisten wird bekanntlich eine peinlich
genaue Berichterstattung beobachteter Tatsachen verlangt
. Wir sollen nicht berichten, was wir glauben, was
wir aus den Dingen machen, und noch weniger sollen wir
das als erlebt hinstellen, was wir gerne gesehen hätten.
Das sollte freilich selbstverständlich sein. Es kommt ja
allein auf das tatsächliche Geschehen an. Je mehr eine
genaue Tatsachenbeschreibung wirklichen Verhältnissen
entspricht, um so größer wird der Eindruck sein. Dürfen
wir aber das Gleiche nicht auch von den Gegnern,
namentlich von der Presse verlangen? Oder sind wir
rechtlos? Münsterberg hat kürzlich (wie Dr. Bormann
und Oberst Peter in den „Psych. Stud." festgestellt haben),
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