http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1910/0488
484 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 8. Heft. (August 1910.)
ewige Wahrheit anerkenne, sondern behaupte, die Offenbarung
sei an Zeit und Ort nicht gebunden, eine beständig fortschreitende.
Wernekke.
Die Überwinder des Todes. Druck und Verlag von John Schwerin^
Verlag, Berlin (1909. 237 S. 8 <>).
Mit der beliebten Buntheit und der schnellen Folge der Bilder
eines Kineinatographen bewegt sich dieser Eoman in beständigem
Wechsel in dem auf Eeichtum und Sinnengenuß gerichteten
Treiben der Großstadt und dem hochentwickelten Kulturleben eines
fernen Planeten, wohin die Seelen der Hauptpersonen sich begeben,
während ihre irdischen Körper im Schlafe öder Starrkrämpfe oder
sogar im Zustande des durch Enthauptung Herbeigeführten Todes
liegen! Die sozialen Verhältnisse in jener entlegenen Welt entsprechen
der hohen geistigen Stufe ihrer Bewohner, denen denn
auch ein viel längeres Leben beschieden ist, als den Erdenmenschen,
und die als „Überwinder des Todes* schließlich freiwillig aus dem
Dasein scheiden (Selbstmord durch elektrischen Strom), mit der Gewißheit
zu einem noch vollkommeneren Sein wiedergeboren zu
werden. Die Tagespresse, die sich auf den Geschmack des
großen sensationsfreudigen Leserkreises versteht, bringt „in großer
Zahl enthusiastische Besprechungen" des Werkes, dessen Verfasser
sich in erstaunlicher Bescheidenheit nicht hat nennen wollen.
Wernekke.
Die Forderung des Tages. Von Wilhelm Ostwald, Leipzig, Akademische
Verlagsgesellschaft. 1910 (603 S. gr. 8').
Die „Mehrzahl aller Gebildeten" — als eifrige Anhänger der
Wissenschaft, worunter eben nur Naturwissenschaft verstanden
werden soll — verehren gegenwärtig als ihre Führer Häckel und
Ostwald: einen Vertreter der beschreibenden und einen der experimentellen
Naturwissenschaft, einen Theoretiker des Stoffs und einen
der Kraft (wenn diese etwas veralteten Ausdrücke noch gebraucht
werden dürfen). Bezeichnend für die Einseitigkeit ihrer Standpunkte
ist es, daß jeder von ihnen den anderen zu ignorieren scheint. Gemeinsam
ist ihnen der unermüdliche Eifer in der Verkündung ihres
besonderen Monismus. Von neueren Reden und Aufsätzen Ostwald's
(aus den letzten sechs Jahren) sind in dem vorliegenden Bande
nicht weniger als 44 zusammengestellt, bei denen der Verfasser
sich von Goethe hat leiten lassen, weichermahnt: „Versuche deine
Pflicht zu tun, und du weißt sogleich, was an dir ist. Was aber
ist deine Pflicht? Die Forderung des Tages." Dieser Forderung
entgegenzukommen, berühren die Abhandlungen zunächst das von
Ostwald mit großem Scharfsinn und mit verdienter Anerkennung
erschlossene Gebiet seiner Naturphilosophie, der Energetik, behandeln
darauf allerlei Fragen von allgemein menschlichem Interesse
(das System der Wissenschaften, werdende Wissenschaften, Perspektiven
der modernen Naturwissenschaft, Theorie des Glücks
mit mathematischer Formulierung, Biologie des Forschers, internationale
Hilfssprache, Universitäts- und Schulwesen u. a.); nur
das ethische und religiöse Gebiet sind bei Seite gelassen. Denn
„die Ausgestaltung der kulturologischen und soziologischen Erscheinungen
auf energetischer Grundlage" ist die Aufgabe dieser
Erörterungen — und auf solcher Grundlage ergibt sich Kultur als
gleichbedeutend mit Technik, und Kulturentwicklung ist wesentlich
fortschreitende „Energieersparnis". „Große Männer" und wahrhafte
Kulturförderer sind daher eigentlich nur unter Chemikern und
Physikern zu finden, und wenn die Aufgabe der Erziehung in der
Übertragung der Kultur besteht, so wird sie nur gelöst werden,
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1910/0488