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Clericus: Aus den Akten einer geistlichen Oberbehörde. 499
Die einfachen Benediktionen, welche der ehrerbietigst
Unterzeichnete teils selbst vornahm, teils vornehmen ließ,
haben sich bisher als unzulänglich erwiesen, so daß sich
derselbe genötiget sieht, den ganzen bisherigen Verlauf der
unheimlichen • Sache wahrheitsgetreu Euer Erzbischöflichen
Excellenz zu unterbreiten und Hochdieselbe um Rat und
Hilfe zu bitten.
In der Weihnachtswoche 1866 erzählte mir, dem ehrerbietigst
Unterzeichneten, die Lokaloberin Schwester
Febronia, es habe die Küchenschwester Zosima, als sie
in der heiligen Nacht im Refektorium den Christbaum für
die Zöglinge zubereitete, in ihrer nächsten Nähe plötzlich
einen argen, unbeschreiblichen Lärm gehört, so ungestüm,
daß sie auf die Einwendung, es habe der Lärm etwa von
einer Katze hergerührt, entgegnete: „Auch hundert Katzen
hätten denselben nicht verursachen können.*
Von diesem Tage an gab es fast allnächtlich einen
unheimlichen Spuk sowohl im obengenannten Refektorium,
einem kleinen Zimmer mit nur einem Fensterstocke und
zwei Türeu, von denen die eine in die Küche, die andere
in das Wohnzimmer der Zöglinge führt, als auch in dem
ebenso gebauten oberen Zimmer, dem Schlafzimmer der
Lokaloberin F. Als F., durch den nächtlichen Spuk belästigt
und oftmals aufgeschreckt, die Küchenschwester Z.
einlud, in demselben Zimmer zu schlafen, diese auch ihr
Bett zwischen den gegenüberstehenden Türen auf den Boden
gemacht hatte und bereits eingeschlafen war, wurde sie
dadurch geweckt, daß die Türe sich öffnete, eine geheimnisvolle
Lichtgestalt durch das Zimmer vor ihr vorüberzog,
sie sogar mit kalter Hand anfaßte und verschwand.
Durch diesen Vorfall erschreckt, kränkelte Z. einige
Tage, und da der nächtliche Spuk auch der Gesundheit
der Lokaloberin . nachteilig zu werden drohte, glaubte ich
Ursache zu haben, mich persönlich von der Sache überzeugen
zu müssen.
Zu diesem Zwecke begab ich mich etwa Mitte Jänner
1867 um 9 Uhr abends in das genannte Refektorium,
nahm, da die bereits erschreckte Z. hierzu wohl nimmer zu
brauchen war, neben der F. die Arbeitslehrerin Schwester
Delphina (jetzt in Miesbach) als Zeugin mit, und nahm,
nachdem ich zuvor aufmerksam gemacht worden, das
Kerzenlicht auszulöschen, weil der Spuk das Licht meide,
um mich zu überzeugen, ob nicht der Spuk von außen
komme, auf der Fensternische Platz, während die beiden
Schwestern im Hintergrunde des Zimmers je in eine Ecke
sich setzten.
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