http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1910/0556
552 Psych. Studien. XXXVII. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1910.)
Zusehen findet sich aber keine jener Formen: — es ist eine
Ornamentik, die uns gänzlich unbekannt ist. Mit den
Pflanzenmotiven wechseln Gebilde, die an Quallen und an
die Formen der Tiefseefauna erinnern; — ein direkt wirkliches
Vorbild aber würde auf unserer Erde vergebens gesucht
werden. Der Sinn des Mediums für Ornamentik ist
einzig dastehend; die Stilisierung ist durchweg edel und
eine Harmonie, die in Farbe und Form ohnegleichen ist,
durchzieht den unerhört verschwenderischen Reichtum der
Motive. Man kann über die Entstehung der Bilder denken,
wie man will, niemals wird man leugnen können, daß in
denselben die zielbewußte Darlegung eines persönlichen,
künstlerischen und edelgedachten Stiles offensichtlich zu
Tage tritt. Es ist eine fremde Welt, die uns in ihren nie
gesehenen bizarren Formen entgegen leuchtet und dies oft
in so kühnen Kontrasten, daß die dennoch vorhandene
ruhige, vornehme Gesamtwirkung wie ein wahres Wunder
erscheint, überdies werden die Bilder immer noch prächtiger
und vollendeter in der Farbengebung. Dabei wächst
die Kühnheit der Komposition und die Details werden
immer schwieriger. In den zuletzt geschaffenen Blättern
treten sogar Tierornamente auf, eine Art Schmetterlinge,
und? was noch sonderbarer ist, Figuren in Bändern, die
unwillkürlich an arabische oder persische Schriftzeichen
erinnern.
Je länger man die Bilder betrachtet, desto mehr steigert
sich unsere Bewunderung. Man kann nicht mehr
zweifeln, daß, wie ich schon angedeutet habe, ein normales
Gehirn im wachen Zustand selbst bei größter Phantasie
nicht imstande ist, diese geheimnisvolle Ornamentik zu
schaffen, so wenig, als eine menschliche Hand bei vollem
Bewußtsein ihres Trägers jemals Derartiges in einem
solchen Tempo malen oder zeichnen könnte. *) Ähnliches
sehen wir nur ab und zu, wenn wir die Augen gewaltsam
schließen und jene farbenschimmernden, kaleidoskopartig
wechselnden Flächen auftreten, deren Detail uns leider
völlig entgeht.
Mit Hinsicht auf die Ornamentik in den Bildern
der Frau A. macht Hugo Hill ig in der Beilage zum
Hamburger „Echo* (11. Mai 1910) folgende interessante
Ausführungen: „Hier haben wir so viel Wesens verwandtes
mit indischer Ornamentik, daß es schwer fällt, anzunehmen,
*) Obiges Urteil des Herrn Obersten fällt um so schwerer ins
Gewicht, da er selbst u. W. als Amateur - Maler Sachkenner ist.
— Red.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1910/0556