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Hugo: Erkenntnistheorie und Okkultismus.
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legen. Dabei sei Eines im voraus bemerkt: wie die Erkenntnistheorie
heute noch nicht annähernd das Ideal einer
fest umgrenzten Lehre erreicht, vielmehr der persönlichen
Auffassung noch breitester Spielraum bleibt, so haftet natürlich
auch ihren Folgen und Anwendungen noch der
gleiche Mangel an. Das ist ein Zeichen, ebenso gut für
die Schwäche und Unvollkommenheit unserer menschlichen
Vernunft, wie für die außerordentliche Tiefe der Probleme,
die wir nun seit beinahe zwei Jahrtausenden auszuschöpfen
suchen. Das muß den Grundton unserer Gedanken ausmachen
. Dagegen versichern wir, daß uns in diesem Zusammenhange
nur die prinzipielle und formelle Beziehung
der beiden Gebiete am Herzeü* liegen soll. Dies wird
bald deutlich werden.
Zunächst ist der Okkultismus, wie jede Art wissenschaftlichen
Bemühens, einer gewissen Materie zugewandt,
die er deskriptiv darzustellen und in logisch durchsichtiger
Weise zu erldären sucht. Fragen wir uns um das Wie
dieser Materie, so wird durch die meist negative Antwort
dargetan, daß es sich um kein unmittelbar durch positive
Instanzen angebbares Forschungsgebiet handelt. Man sagt
extra, die Materie des Okkultismus betreffe alle diejenigen
Erscheinungen, die nach ihrer Eigenart ein Zuordnen zu
Erscheinungen der naturwissenschaftlichen Weltanschauung
ausschließen. Aber sogleich werden Bedenken laut werden.
Was ist naturwissenschaftliche Weltanschauung, woher schöpft
sie ihre Grundsätze, wie darf sie selbstwillig ihre Grenze
festlegen ? Sehen wir einen Augenblick zu, wie die Wissenschaft
von der Natur zu ihren Begeln gelangt. Gegeben
ist in der uns umfassenden Welt eine Unsumme von Gegenständen
und deren Beziehungen. Manche dieser Gegebenheiten
liegen dem bloßen Augenschein offen, andere werden
durch mannigfaltige und verwickelte Analysen aufgedeckt,
wieder andere, wie die hypothetischen Gegebenheiten, werden
überhaupt nicht im tatsächlichen Sinne aufgedeckt, sondern
nach Maßgabe gewisser, für die Erklärung notwendiger
Voraussetzungen erschlossen. Wo immer die Naturwissenschaft
gewisse gleichbleibende und nie durchbrochene Zusammenhänge
erblickt, da schließt sie dieselben zum Ausdruck
des Gesetzes zusammen und redet von Naturgesetzen
. Aus der Art solcher natürlicher Gesetzbildung
läßt sich der für unsere Zwecke bedeutungsvolle Satz
folgern, daß ein Gesetz immer nur für diejenigen Tatsachen
Geltung besitzt, auf deren Grundlage es aufgebaut wurde.
Ein Gesetz etwa, welches die Schwere aller Naturkörper
ausspricht, spricht ganz allein dieses Verhalten unter ge-
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