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Hugo: Erkenntnistheorie und Okkultismus. 575
Ausdruck des Gesetzes eine induktive Verallgemeinerung,
das heißt die immer nur an einzelnen Phänomenen
wahrgenommenen Übereinstimmungen erhalten im Gesetz
eine Verallgemeinerung, die.sie für alle Phänomene derselben
Art gültig sein läßt. Dieser induktiven Verallgemeinerung
kann natürlich niemals Notwendigkeit im
strengen Sinne zukommen, da es ja niemals irgendwo in
der Welt, noch irgend wann in einer Zukunft ausgeschlossen
bleibt, daß ein Naturgesetz eine Ausnahme erleidet. Es
folgt also, daß dasjenige, was ein Gesetz behauptet, im
strengsten Sinne Theorie ist und Theorie bleiben wird;
denn wenn ich zum Beispiel behaupte, daß alles Wasser
unter gewissem Druck und gewisser Temperatur verdampft,
— womit natürlich nicht allein das Wasser auf unserer
Erde gemeint ist —, so wird kein Mensch dieses Gesetz auf
seinen absoluten Wahrheitsgehalt prüfen können; wir besitzen
lediglich die große Wahrscheinlichkeit, daß, weil stets
das Wasser sich so verhalten hat, es sich auch in allen
anderen Fällen ebenso verhalten werde. Diese Weise der
induktiven Verallgemeinerung leitet nun die Naturwissenschaft
auch bei Aufstellung ihrer eigenen Hypothesen.
Der Hypothese soll gemeinhin die Aufgabe zukommen, die
Lücke auszufüllen, welche die letzten Gegebenheiten nach
der Seite ihrer Erklärung hin offen lassen. Interferenz,
Beugung, Polarisation des Lichtes, die an sich letzte Daten
der Erfahrung sind, sucht etwa die Schwingungstheorie
auf Gegebenheiten höherer Observanz zurückzuführen; die
kinetische Gastheorie findet in der mechanischen Bewegung
letzter materieller Stoffteilchen für alle möglichen Äußerungen
und Wirksamkeiten der Gase den erklärenden Urgrund.
Aufgestellt aber werden solche Hypothesen stets nach
Maßgabe solcher Vorgänge, die schon innerhalb der
empirischen Erfahrung beobachtet wurden, das heißt: die
Naturwissenschaft sucht zur Erklärung jener letzten Daten
nicht ohne weiteres neue und unbekannte Gründe zu
hypostasieren, sondern sie läßt auch hier die ihr zugängliche
und empirisch beobachtete Erfahrung bestimmend sein.
Das ist eben der Unterschied zwischen einer guten und
einer schlechten Hypothese, daß die gute Hypothese möglichst
wenig neuer, bis dahin unbekannter Momente zur Deutung
der fragwürdigen Erscheinungen bedarf. Es leitet uns das
.Vertrauen in die Konformität der Natur, der Gedanke,
daß in der beobachtbaren, uns zugänglichen Umwelt alle
die Elemente verborgen sind, die die Erklärung jener anscheinend
isoliert dastehenden letzten Gegebenheiten möglich
machen werden.
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