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Hugo: Erkenntnistheorie und Okkultismus.
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dieses Gehirns, so wird auch diese Behauptung ihren Beifall
finden. Auf der Naturwissenschaft lastet der schwere
Vorwurf, diesen Banalitäten von jeher Rückhalt geliehen
zu haben. Solange sie fortfährt, die Menschheit mit ihrem
Schatz philosophischer Weisheit zu beglücken, wird es mit
diesen Dingen nicht anders werden. —
Innerhalb der philosophischen Disziplin nun sind die
Rollen gegenüber einer Wissenschaft des Seelischen noch
lange nicht mit genügender Klarheit verteilt. Die Kontroversen
, welche über den Anteil der Logik, der Psychologie,
der Erkenntnistheorie entscheiden sollen, scheinen vorläufig
noch nicht zu einem befriedigenden Ende zu gedeihen.
Ohne uns daher mit diesen ins Uferlose gehenden Fragen
zu beschäftigen, bemerken wir nur im allgemeinen: Eine
Wissenschaft, welche von einer möglichen Scheidung des
Seelischen vom Leiblichen spricht, sollte sich darüber klar
werden, was nach Maßgabe unserer heutigen Erkenntnis
nicht nur erfahrungsgemäß, sondern auch prinzipiell darüber
auszumachen ist. Gegenüber dem Seelenproblem sucht
die Wissenschaft von heute zunächst einmal rein auf das
Gegebene zu achten und es in eben dieser Selbstgegebenheit
zu 'bestimmen. Dabei ist es aufs höchste zweifelhaft
geworden, ob wir ein Recht besitzen, von einer Einheit
der sich hier ergebenden, sogenannten psychischen Funktionen
zu reden; ob es sich nicht vielleicht hier um Elemente
handelt, die einander fremder sind, als irgend eine
Seite des psychischen Daseins zu einem physischen überhaupt
. Man sagt, das Bewußtseins-Ich soll ihm Einheit
geben; aber man vergißt leicht, daß hier wiederum eine
Unzahl von Problemen vorliegt, daß es sich grundsätzlich
fragt, ob dieses Ich wirklich in der Folge der Bewußtseinserscheinungen
als ihnen immanent vorzufinden ist, oder
gemäß eines sekundären, rein empirischen Prozesses zu
ihnen hinzutritt. Von der Tiefe und Tragweite dieser
Fragen vermag sich der Laie kaum ein Bild zu machen.
Lnd weiter: Was würde es überhaupt heißen, das Seelische
vom Körper zu trennen? Alles Seelische wissen wir unmittelbar
nur aus unserer eigenen individuellen Erfahrung,
das Seelische in Anderen ist lediglich erschlossen. Nehmen
wir einmal die objektive Wirklichkeit dieses Erschlossenen
an, so entsteht neben tausend anderen Fragen die eine,
welche Art des Zusammenhanges mit der physischen Natur
des Menschen vorliegt. Ich kann von einem Gedanken,
oder von einem Gefühle nicht behaupten, daß es eine
gewisse materielle Größe besitzt, ich kann also auch nicht
behaupten, daß sie der Physis im räumlichen Sinne zuge-
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