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642 Psych. Studien. XXXVIL Jahrg. 11. Heft. (November 1910.)
diesen Gegenstand mehr vom technischen Gesichtspunkte
aus behandelt, und Edmund Paris h's ?Halluzinationen
und Illusionen* jene Schrift, welche über die verschiedenen
physiologischen Theorien hierüber die beste Übersicht gewährt
. Was der Verfasser den obgenannten Werken entnimmt
, lasse ich samt den beigefügten schematischen Zeichnungen
in genauer Wiedergabe hier folgen.
Zur Veranschaulichung je-
Fig. 1. ner Art von Verbindung zwischen
Retina und der Sehzone
der Gehirnrinde, welche Theorie
von den Physiologen von
einem aprioristischen Gesichts-
{mnkte aus für die wahrschein-
ichste und begreiflichste gehalten
wird, dient das in Fig. 1
skizzierte Schema, wo der
Kreis R die Retina eines Auges
und der Kreis VC jenen
Teil der Gehirnrinde vorstellt,
welcher als der Sitz des Selbstbewußtseins
angesehen wird.
Die kleinen Buchstaben im
Kreise R sollen verschiedene
Stellen der Retina (der Netzhaut
) bezeichnen. Die ältere
und unfertigere Theorie des
Sehens, welche die faßlichste zu sein scheint, ist jene,
in welcher die Retina durch eine entsprechende Zone in der
Rinde des Cerebrum (des Großgehirns) auf eine Weise
repräsentiert wird, daß verschiedene Punkte in der Retina
mit entsprechenden Punkten in der Gehirnrinde in Verbindung
stehen, oder daß jedes einzelne der Millionen Stäbchen
und Kegelchen in der wundervollen Mosaik der Retina
durch seine eigene Nervenfaser mit einer besonderen Nervenzelle
oder einem Komplex von Nervenzellen des Sehkortex
kommuniziert und daher das zuerst auf die Retina,
projizierte Bild in allen seinen einzelnen Teilen unversehrt
auf das Bewußtsein übertragen wird, so daß auf diese Weise
die Wahrnehmung räumlicher Anordnung gewahrt bleibt.
Diese Theorie, welche noch immer von Ramon y Cajal,
Monk und anderen aufs eifrigste unterstützt wird, hat man
größtenteils verworfen, obgleich wir sehen werden, daß die
ihr zugrunde liegende Idee bis zu einem gewissen Grade
erhalten werden muß, wenn anders die Verbindung zwischen
Auge und Gehirn dem Verständnis nicht entrückt werden soll.
- (Forts, folgt)
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