http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1910/0647
Kaindl: Ein Urteil über die Weinsberger Spukgeschichte. 643
Das Urteil eines Unbekannten über die
Weinsberger Spukgeschichte.
Von Alois kaindl (Linz a. D.).
„Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
Verpestet alles schon Errungne;
Den faulen Pfuhl auch abzuziehn —
Das Letzte war' das Höchsterrungne —,
Eröffn' ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch tätig frei zu wohnen.1'
(Goethe's „Faust", II. T.)
In meinem, vor mehreren Jahren antiquarisch erworbenen
Exemplar des von Dr. Justinus Kerner verfaßten
Werkes „Eine Erscheinung aus dem Nachtgebiete der Natur"
(Stuttgart und Tübingen, Verlag der J. G. Cotta'schen
Buchhandlung, 1836) finden sich auf dem unteren ßand der
Seiten 111—134 von unbekannter Hand mit Tinte folgende
Worte geschrieben:
„Es ist schwerlich jemals eine Geistererscheinung von
einer solchen Menge Zeugen, wie die vorliegende, und
unter denselben von mehreren denkenden, wissenschaftlich
gebildeten Männern beobachtet und, wie es sich von solchen
Männern auch nicht anders erwarten läßt, von ihnen mit
der größten Genauigkeit und Umsichtigkeit untersucht
worden, woraus sich das Resultat einstimmig ergab: daß
an Betrug und Täuschung dabey nicht zu denken sey, der
Thatbestand dieser Spukgeschichte also sich als unzweifelhaft
herausstellt. Aus dieser alle Glaubwürdigkeit verdienenden
einstimmigen Aussage von Zeugen von verschiedenen
Graden der Einsichten und Geistesbildung folgt mit Noth-
wendigkeit, daß, wenn man auch das vo/dens^lben Wahr-
genommene nicht für eine Geistererscheinung gelten lassen
will, man doch, da solches auf andere Art unerklärlich ist,
nicht behaupten kann, daß es eine solche nicht sey und
nicht seyn könne, also die Möglichkeit der Geistererscheinung
nicht geläugnet werden könne, wenigstens solange
nicht, bis eine anderweite genügende wissenschaftliche
Erklärung dieser räthselhaften Phänomene gefunden seyn
wird, wenn eine solche aufzustellen späteren Zeiten vorbehalten
seyn sollte.
Ein Beweis der größten Unbefangenheit der als Beobachter
in der vorliegenden Geistergeschichte auftretenden
wissenschaftlich gebildeten Männer ist, daß sie, was sie gesehen
und gehört haben, bloß referiren, ohne dem Urtheile
des Lesers über den wahren Verhalt der Sache selbst im
mindesten vorgreifen zu wollen, nicht mehr verlangend, als
43*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1910/0647