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656 Psych. Studien. XXXVII. Jahrg. 11. Heft. (November 1910.)
Hscher Erquickung, bot man ihm morsches Gestein und
wankende Kartenhäuser.
Unbeschreiblich wurde die Not; die Arbeitskraft der
Männer genügte bald nicht mehr: Frauen zuerst und sodann
Kinder entriß das System der Selbstsucht den geheiligten
Räumen der Familie , um selbe in Geist tötende,
erschöpfende Arbeit einzuspannen, deren Belohnung nicht
genügt, Elend, Sünde, Schande, frühzeitiges Alter und Tod
in des Daseins Blütejahren zu verhindern. So wuchern
Elend, Leid und Übel, und Millionen armer, unglückseliger
Geschöpfe werden Opfer eines Verhängnisses, welches trauriger
und barbarischer nicht zu denken ist; sie werden
Opfer des egoistischen Systems. Das von diesem letzteren
angerichtete Elend und sonstiges schweres und himmelschreiendes
Unheil können durch die Veranstaltungen und
Palliativmittel der Nationalökonomie, Jurisprudenz und
Sozialpolitik des Egoismus nicht vermindert, geschweige
denn geheilt werden und müssen fortschreitend sich ausbreiten
und vertiefen, um zuletzt große, weltbewegende
Krisen zu erzeugen.
Bei alledem haben Frauen und Kinder am meisten zu
leiden und es ist kein Wunder, wenn erstere im Vollgefühl
des Schmerzes über grobe und raffinierte Störung ihres
häuslichen Glücks und ihrer Gesundheit aufschreien und
sich jeder Bewegung in die Arme werfen, die ihnen Befreiung
aus naturwidriger Lebenslage verspricht oder zu versprechen
scheint. So gelang es der zumeist in ungesundem
Bodensich entwickelnden Bewegung der Frauenemanzipation,
einen großen Teil der Töchter der Menschen hinzureißen, zu
fanatisieren und dabei Mittel zu erwählen,Wege einzuschlagen,
welche nicht zu Paradiesen leiten, sondern zu Abgründen
führen, in denen niemals heilende Pflanzen blühen.
AlleWelt schrie nach Emanzipation und wußte nicht, was
dieses schwere Wort bedeutet; alle Welt forderte, daß die
Frauen sämtliche Arbeiten verrichten sollten, zu denen die
Natur Seele und Organisation des Mannes bestimmt.
Emanzipation bedeutet Befreiung. Alle Wesen wollen beziehungsweise
frei sein und dies für immer bleiben, aber
jedes Wesen in dem Rahmen seiner Natur im allgemeinen,
seines Geschlechts im besonderen. Jede Individualität und
beide Geschlechter sind verschieden geartet und die ihnen
notwendige Freiheit ist da größer, dort geringer. Jeder
soll sich bestreben, reif für größere Freiheit zu werden, indem
er sich selbst als intellektuell, moralisch-religiös, sozial
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