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Literaturbericht. 661
Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci. Von Sigmund
Freud in Wien. Mit 1 Titelbild. 71 S. gr. 8°. Leipzig und
Wien, Franz Deutieke, 1910. Preis 2.50 M.
In der vorliegenden Schrift macht uns der berühmte Wiener
Psychologe anschaulich, wie bei Leonardo die Zufälligkeit seiner
illegitimen Geburt und die Überzärtlichkeit seiner Mutter einen entscheidenden
Einfluß auf seine Charakterbildung und sein späteres
Schicksal übten, indem die nach dieser Kindheitsphase eintretende
Sexualverdrängung ihn zur Sublimierung der Libido in Wissensdrang
veranlaßte und seine sexuelle Inaktivität für das ganze
spätere Leben feststellte. Aber diese Verdrängung nach den ersten
erotischen Befriedigungen der Kindheit mußte nach Freud nicht
eintreten; vielmehr ist hier ein Grad von Freiheit anzuerkennen,
der sich psychoanalytisch nicht mehr auflösen läßt. Die Schrift
wird jeden Psychologen interessieren und bitten wir unsere Leser,
dieselbe keinesfalls übersehen zu wollen, da sie an einem praktischen
Beispiel wirkungsvoller, als durch langatmige Auseinandersetzungen
^eigt, wie weit sich die Grenzen der Psychoanalyse erstrecken
. Dr. med. Freudenberg -Dresden.
Der Schläfer (Somnambule) von Mühlhausen, sein Hellsehen und dessen
ärztliche Verfolgung. Studien und Erlebnisse von Henry
Wagner, approb. Apotheker. 54 S. (mit 4 Abbildungen). Verlag
„Osiris" (H.Wagner, Mühlhausen, O.-Elsaß, Züricher Straße 7).
Preis 40 Pf.
Der Verfasser dieser sensationellen Broschüre, mit dessen ,
berühmtem „Traumdichter-Medium" sich die „Psych. Stud." wiederholt
(zuletzt im Aprilheft er., S. 231 ff. und Juliheft, S. 410 ff.) zu
befassen Anlaß fanden, schildert hier nach fünfjähriger praktischer
Arbeit mit einem hellsehenden Somnambulen seine bisherigen Erlebnisse
und zeigt an der Hand der gegen ihn und sein Medium
angestrengten Prozesse, daß trotz aller noch so gehäßigen Verfolgungen
die Wahrheit über die von ihm erzielten außerordentlichen
Heilerfolge (besonders bei Gicht bezw. Gelenkrheumatismus
und Gallensteinen) nicht unterdrückt werden kann. Nicht nur der
sich im Schlafwandeln äußernde natürliche, sondern auch der künstliche
Somnambulismus setzt nach ihm eine angeborene, aber entwicklungsfähige
Anlage voraus, wobei zwei Hauptgruppen von
Erscheinungen zu unterscheiden sind: einerseits die Hypnose,
ein Zustand von Tiefschlaf, in welchem das durch ermüdendes Fixieren
irgend eines Gegenstandes (z. B. eines Bleistifts oder einer
Glaskugel), bezw. durch Suggestion eingeschläferte Medium („Sujet
") als willenloser Automat, ohne die Spur eigener, normaler oder
gar noch höher entwickelter Geistestätigkeit dem Willen des Hypnotiseurs
untersteht, und andererseits der sich eventuell aus der
Hypnose entwickelnde, das Vermögen des Tagesbewußtseins um ein
Bedeutendes überragende Trance, wobei keine Beeinflussung
des medialen Unterbewußtseins durch den Hypnotiseur möglich
ist, vielmehr das Medium supernormale selbständige geistige
Leistungsfähigkeit zeigt. Die im letzteren Zustand von dem hellsehenden
,Mühlhauser Schläfer" gestellten Diagnosen ermöglichen
eine Behandlung der ursächlichen Krankheitsvorgänge, während
sich der Schulmediziner meist nur an äußere Symptome hält, deren
gewaltsame Unterdrückung vielfach zu Rückschlägen allersehlimm-
ster Art (Rückenmarksleiden, Erblindung etc.) führt, was Verf, der
sich hauptsächlich auf die Schriften von Dr. med. Kleinsehrod und
Dr. Schweninger stützt, in Übereinstimmung mit unserem Mitarbeiter
Dr. Wolfgang Bohn (s. dessen „Aerztliche Mitteilungen"
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