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Reich: Leben und Weben des Weibes
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düster, sondern muß schön, lieb und heiter sein, aus
frischem Leben strömen und frohes Sein vermitteln. Somit
kann das Weib keiner Universität Professor sein, kein
Laboratorium dirigieren, kein Seminarium administrieren,
ohne im großen und ganzen alle echte Weiblichkeit zu ver-
lieren *) Und es bedeutet Verlust der Weiblichkeit der
Frauen Unheil überall, in Familie und Gesellschaft; alle
Poesie fällt in den Brunnen und jedes herrlichen Zaubers
Flöten schweigen, des Lebens Würze verduftet und feuchter
Hauch des Eises dringt in die Kaserne, an deren Stelle sich
ein Götterheim in Paradiesespark erhob. —
Die edel geartete, reine, geistig erhellte, gesunde Frau,
welche ihrem wahren Beruf mit voller Seele ergeben ist,
hat genügend Kraft, des Lebens Rauhigkeiten zu überwinden
und bösen Schicksalen Trotz zu bieten; sie widersteht
auch in schweren Lagen den Verlockungen, mit denen
T'bermufc und Frechheit an sie herantreten, und geht als
Siegerin aus dem oft genug sehr ungleichen und schweren
Kampfe hervor. O Jammer! Niehl alle läßt der System
gewordene Egoismus der Staatsgesellschaft zu edler Artung
und festem Charakter gelangen; diese armen Unglückseligen
widerstehen nicht und ihr Fall hat den sozialen und sittlichen
Fall oft genug ihrer ganzen Familie zur Folge.
Und steht es so traurig mit Familien, so begehren die
Dämonen und Furien Alkohol, Kriminalismus, Wahnsinn,
Prostitution usw. Einlaß, ja brechen Tore und Türen ein
und nehmen Besitz von den armen Seelen. Die darauf
folgenden Bilder moralischen und physischen Elends, welche
in Wohnkasernen, Verschlagen, Hospitälern, Gefängnissen
und sonstigen Einrichtungen zutage kommen, sind geradezu
herzzerreisend und machen nicht die Schuld der Leidenden
aus, sondern Fluch, Schmach und ewige Schande ihrer
Peiniger, derer, welche mit den Hebeln und Werkzeugen
des raffiniertesten Egoismus naturgemäße, edle Weiblichkeit
zerstören, vergiften, verpesten, tapfere Männlichkeit unterdrücken
, reine Kindlichkeit verhöhnen.
In allen Ständen der gesitteten Gesellschaften, bei allen
Klassen der Bevölkerung macht echte Weiblichkeit aller
Frauen sich erforderlich als Bedingung echter und rechter
Erziehung und naturgemäßen Daseins. Auch das Weib des
einfachsten Kohlenbrenners im wildeu Walde muß in seiner
Art echt weiblich sein, wenn es Mann und Kinder glücklich
machen, letztere wohl erziehen soll. Der nimmersatte
Egoismus des Staates und der Gesellschaft ist erschreck -
*) Nicht einverstanden l
Red.
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