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706 Psych. Studien. XXXVII. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1910.)
lieh dahinter her, überall Weiblichkeit und edle Artung
gründlieh zu zerstören und das ganze Leben zynischer,
eiseskalter Prosa zu überantworten, damit die wahren Ziele
und Aufgaben des Lebens zu verdunkeln und jede Arbeit
den allerniedrigsten Interessen dienstbar zu machen. Wo
wahre Weiblichkeit nicht lebt, nicht wertet, kommt auch
echte Männlichkeit nicht zu normaler Entfaltung und es
vergrößert sich die Gefahr des Versinkens der ganzen Gesellschaft
in den Morast der feigen Jämmerlichkeit. Ein
TJbel veranlaßt so nach und nach das andere, und zuguter-
letzt ekelt einer sich vor dem anderen und die Menschheit
möchte am liebsten aus der Haut fahren. —
Innerhalb aller sozialen Gruppen \st echte Weiblichkeit
eines und dasselbe, erscheint jedoch überall in anderer
Modifikation. Diese Tatsache möge fest im Auge behalten
und gewürdigt werden; denn übersehen und nicht würdigen
derselben erzeugt schweren Irrtum und bringt großen
Kachteil.
Möge die echt weibliche Frau dieser oder jener Klasse,
Gruppe, Kaste angehören, jederzeit und allerorts erfaßt
dieselbe, wrenn nicht von außen gezwungen und verwirrt
, ihren wahren Beruf aus Instinkt und paßt dessen
Wesenheit und Forderungen möglichst rasch und vollkommen
sich an. Die Anpassung wird in hohem Grade
begünstigt durch geeignete soziale Verhältnisse und die
oben angedeutete Erziehung. Jene armen Geschöpfe, die
bei bester Weiblichkeit unter schwerem Druck der Daseinsverhältnisse
und Mangel rechter Erziehung ihr Leben in
unpassender Arbeit dahin bringen, leiden schweres Martyrium
, und ihre edle Weiblichkeit wird auf die härteste
Probe gestellt. Solcher Kampf erzeugt in der Hegel mehr
oder minder große Übel für die Gepeinigte und deren
Familie und hemmt normale Erfüllung der Aufgabe, vor
wreiche jede Kreatur gestellt ist. Man sieht im Sande der
Arena die Stapfen des Teufels Egoismus. Und je mehr
Egoismus, Materialismus und andere böse Ismen den Stock
des Königs führen und die Menschheit massakrieren, desto
mehr verblaßt echte Weiblichkeit und kommen unw7eibliche
Frauen zutage. Solches beglückt die Gesellschaft wenig;
denn die unweibliche Frau braucht gar nicht männliche
Instinkte zu haben, sondern bloß unweiblich zu sein, um
anderen Menschen die Laune gründlich zu verderben und
manchen derselben zur Verzweiflung zu bringen. Die unweibliche
Frau wird oft zum Scheusal, der unmännliche
Mann jedoch erregt Mitleid und ist ein Hampelmann, und
über das unkindliche Kind möchte man weinen.
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