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6 Psychische Studien. XXXVIIL Jahrg. 1. Heft. (Januar 1911.)
für jedermann soll die sozialen Gegensätze ausgleichen. Es
gehört nur noch dazu, daß jeder dem Nebenmenschen in
seinem Diogenes-Fasse oder einer Hundehütte — denn die
extremste Richtung strebt selbst das an — die größte
Nächstenliebe entgegenbringt und vor allem dem Übel
keinen Widerstand leistet, und die Zukunftsmenschheit mit
allen ihren Idealen ist geschaffen.
Das sind Worte und nichts als leere Worte, Schwärmereien
, wie sie nur einer totengräberischen, hypersentimentalen
Melancholie - Philosophie entstammen können und niemals
in der Praxis Anklang finden werden. Ohne das Gesetz
des Karmas und der Iiemkarnation zu Kate zu ziehen,
läßt sich überhaupt nicht das Elend dieser Welt beurteilen.
„Wahrlich, es kommt niemand heraus, ehe er den letzten
HeUer bezahlt hat," und was du heute leidest und vielleicht
ungerecht leidest, das ist die Sühne für das, was du in
früheren Leben gefehlt und was deine Seele — Kant nennt
es dein „intelligibles Wesen" — gerne wieder wett macht.
„Auf der Erde leiden viele Millionen Menschen,* ruft
der 82 jährige Dichter noch kurz vor dem Scheiden aus.
Ja, warum leiden sie denn? Es ist doch der allmächtigen
Gottheit eine Leichtigkeit, auch jedwedem Elend und jedem
Leid zu steuern, Siechtum und Krankheit, Not der äußeren
Lage, Not im Innern mit einem Machtworte zu beheben.
Nicht umsonst träumt die Menschheit von einem goldenen
Zeitalter: dann, wenn durch allesumfassende Erfindungen
und Entdeckungen oder, sagen wir besser, durch das
Hereinragen des Jenseits jeder Not ein Ende gesetzt ist.
Bis dahin aber sind vom Rade der Inkarnation die Büßenden
befreit, die in der Erdenschule eben das noch abzubüßen
, zu lernen haben, was sie am Aufstieg zu lichteren
Höhen hinderte. Allem irdischen Leid, vergänglich wie
die flüchtige Stunde, gegenüber steht der Trost einer
besj-eren Welt. Wie sagt doch Schiller?
„Duldet mutig, Millionen,
Duldet für die bess're Welt!
Droben überm Sternenzelt
Wird ein großer Gott belohnen !Ä
Und Ida Gräfin Hahn-Hahn singt:
„Ueber den Sternen, da wehen dir Palmen
Himmlische Kühlung, o Dulder, dir zu,
Engel begleiten mit heiligen Psalmen
Todmüde Herzen zur ewigen Ruh."
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