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Hübbe-Sehleiden: Cazotte's Prophezeiungen. 15
schrift würde uns vielleicht sowohl über die Tatsachen, wie
über die Motive aufgeklärt haben, die der Niederschrift
La Harpens zugrunde lagen. Vielleicht hat sich nachträglich
noch herausgestellt, daß diese Nachschrift gar
nicht von La Harpe's Hand geschrieben war? Vielleicht
war es nur eine Hand, die seiner in der letzten
Lebenszeit sehr ähnlich war? Zwar ist dies wohl nicht
wahrscheinlich, es wäre aber möglich. Zu wünschen wäre
sehr, daß sich doch vielleicht noch in den Überbleibseln
von Boulard's Bibliothek die Handschrift einmal fände.
Nach Angabe der „Grande Eneyelop^die* (VII, 677) soll
das Wertvollste der Bibliothek nach England in den Besitz
von Sir Richard Heber gelangt sein.
Sainte-Beuve.
Höchst erstaunlich ist nun, daß Sainte-Beuve in
seinen „ Causeries du Lundi* dieses ungeschickte literarische
Machwerk für das größte Meisterwerk La Harpens
erklärt. In Band V der „Causeries" gibt er, Lundi,
10. November 1851, eine allgemeine Schilderung der Lebensarbeit
von La Harpe. Lundi, 17. November 1851, fügt
er Anekdoten über ihn hinzu; eine davon ist die „Prophö-
tie de Cazottetf und über diese Schilderung sagt er tatsächlich
: „L'invention et le style c'est bien, selon moi, son chef
d'oeuvre.* Nach Mitteilung des Inhalts der Handschrift
schließt er damit, daß hier La Harpe sich zu seiner
höchsten Leistungsfähigkeit erhoben habe: „Sa Proph^tie
de Cazotte ä la main La Harpe peut se presenter meme
aupres des ^n^rations rebelies; elles se contenteront de
cefte seule fage m^morable et/ apres Favoir lue, elles le
salueront« So etwas kann wohl nur ein Franzose
schreiben, aber es ist glücklicherweise nicht das Urteil und
die Meinung aller Franzosen. Mir scheint dies nicht gerade
für den guten Geschmack und den Verstand Sainte-
Beuve 's zu sprechen, und La Harpe scheint selbst von
diesen Qualitäten mehr gehabt zu haben. Hätte er das,
was er aufgezeichnet hatte, für sein Meisterwerk gehalten,
dann hätte er sich jedenfalls nicht geschämt, es zu veröffentlichen
. ,
Offenbar hat nur La Harpe in einem Augenblicke
psychischer Erregung einen viele Jahre früher aufgenommenen
tiefen seelischen Eindruck nach ursprünglichen Aufzeichnungen
weiter ausgestaltet, und nachträglich kam ihm
sicherlich selbst die Unwahrheit und psychologische Unmöglichkeit
dieser übertriebenen Ausgestaltung zum Bewußtsein
, Hatte er dabei anfangs vielleicht die Absicht
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