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40 Psychische Studien. XXXVIII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1911.)
Das Bild des Lehnstuhles zur Rechten des Beobachters
wird auf die temporale Hälfte der Retina des linken Auge^
und auf die nasale Hälfte der Retina des rechten Auges
projiziert und beide diese ein wenig von einander abweichenden
Bilder werden bloß in dem links liegenden
Sehzentrum LC auf das Bewußtsein übertragen. Der Fall
läßt sich folgendermaßen darstellen:
Gemälde
Bücherschrank. Vase. Lehnstuhl
Rechtes Sehzentrum. Beide Sehzentren. Linkes Sehzentrum
(RC) (LC und RC) (LC).
Dem Auge erscheint nun die Vase, auf welche, wie wir
annehmen, die Achsen beider Augen gerichtet sind, körperhaft
und einfach, denn beide Bilder werden auf bestimmte
Gehirnzellen projiziert, welche mit verschiedenen zentralen
(um den Mittelpunkt herum liegenden) Punkten jeder Retina
in besonderer Beziehung stehen und die herangebildet
sind, derart zusammenzuwirken, daß sich eine einheitliche
Wahrnehmung ergibt; das hinter der Vase an der Wand
befindliche Gemälde jedoch erscheint dem Auge mehr oder
weniger doppelt , weil die Achsen der Augen sich in der
Vase gekreuzt haben und wieder divergieren, bevor sie e*
erreichen, oder mit anderen Worten, das Bild des Gemäldes
fällt notwendigerweise etwas rechts vom Mittelpunkt der
linken Retina und etwas links vom Zentrum der rechten
Retina, welche Teile weder selbst miteinander übereinstimmen
, noch durch homologe Nervenreihen in den Sehzentren
LC und RC vertreten sind. Daher werden dem
Bewußtsein zwei Bilder vom Gemälde jenseits der Vase
überliefert, und ist dies ein Faktor, welcher bewirkt, daß
sich die Vase vom Hintergrunde abhebt.
Zunächst wollen wir annehmen, daß die Aufmerksamkeit
des Gesichtssinnes von der Vase auf das dahinter befindliche
Gemälde gelenkt wird, d. h. daß sich die Augäpfel
mit Hilfe ihrer motorischen Muskeln diesem neuen Sehobjekt
in einer Weise anpassen (akkommodieren), daß die
Achsen der beiden Augen an einem gemeinsamen Punkte
im Gemälde zusammenlaufen (konvergieren). Offenbar wird
das Bild der Vase dann auf einen Punkt fallen, der sich
etwas links vom linken Netzhautzentrum und etwas rechts
vom rechten Netzhautzentrum befindet, so daß jetzt das
Gemälde plastisch und einfach erscheint, während sich die
Vase doppelt zeigt.
Wenn der Blick auf die Vase geheftet ist, so schielen
die Augen (einwärts) mit Rücksicht auf das Gemälde, und
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