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66 Psychische Studien. XXXVIII. Jahrg. I. Heft. (Januar 1911.)
auch ihm an Spöttern nicht fehlen, so muß konstatiert
werden, daß das Publikum mit Spannung und sichtlichem
Ernst diesen höchst originellen Ausschnitt aus der Geschichte
verfolgte. Vielleicht möchte mancher aus dem
Vortrag die Uberzeugung davongetragen haben, daß es
eben mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als sich
unsere Schulweisheit träumen läßt.
Literaturbericht.
Nachstehend besprochene Werke sind zu Originalpreisen durch die Buchhandlung
von Oswald Matze, Leipzig, Lindenstraße 4, zu beziehen.
Bücherbesprechung.
Von der Seele. Essavs von Carl Ludwig Schleich. S.
Fischer, Berlin. 1910 (334 S. 8 . Preis geb. 6 M.).
Von einem Buche, mit dem sich der berühmte Berliner Chirurg
an einen größeren Leserkreis wendet, läßt sich ein besonderer Genuß
erwarten — und jeder Leser wird seine Erwartung erfüllt wo
nicht übertroffen finden durch diese Reihe von Aufsätzen über
Rhythmus, über Humor, über Schlaf und Traum, über seelische
Hemmungen und Schmerzen, über Tierseele und Menschenseele,
über die Haut als ein Organ der Seele usw. — scheinbar weit
auseinanderliegende Gegenstände, die doch durch die feinsinnige
Betrachtungsweise des Verf. einen überraschenden Zusammenhang
gewinnen. Es dürfte wenige Beispiele geben wie dieses, daß sich
streng wissenschaftliche Dinge in so schöner, poesievoller, geradezu
einschmeichelnder Sprache darstellen lassen. Besonders ansprechend
ist es, daß der Mensch nicht als ein isoliertes Wesen,
sondern in seinem Zusammenhange mit der gesamten Natur, in
Raum und Zeit, betrachtet, daß hervorgehoben wird, wie er teilnimmt
am Leben der Mutter Erde; wie dieses Leben und des
Menschen Leben abhängen von dem großen gemeinsamen Lichtquell
der Sonne; wie wichtig das Erbteil ist, das jedem von den Vorlebenden
überkommen ist; wie durch das ganze Weltleben, im
Sichtbaren und im Unsichtbaren, ein mannigfacher Rhythmus geht,
an dem in wunderbarer Weise auch das Seelenleben teilnimmt.
Bedeutsam ist die Darlegung, daß zwischen Menschenseele und
Tierseele eine wesentliche Verschiedenheit besteht, welche physiologisch
genommen darauf beruht, daß die Nervensubstanz der
menschlichen Seelenorgane nicht nur in der einen Richtung von
der Reizstelle zum Wahrnehmungszentrum, sondern auch in der
umgekehrten Richtung bewegt werden kann. Solche, zum Teil
ganz neue Anschauungen werden nicht in dem vielfach beliebten
dogmatischen Tone einer unfehlbaren Wissenschaft vorgetragen; es
wird auch in alt überlieferten, manchmal belächelten Ansichten ein
brauchbarer Grundgedanke aufgespürt, u. a. die Meinung ausgesprochen
: „Man sollte keine weit verbreitete psychische Neigung
für wunderbare Dinge der ernsten Untersuchung und des objektiven
Abwartens für unwert halten," auch bedenken, daß der Okkultismus
einen ähnlichen Entwickelungsgang nehmen könne, wie die Alchimie
in ihrer Steigerung zur Chemie; wohl sei es „möglich, daß aus
dem Nebel des Spiritismus sich einst noch helle Lichtpunkte der
Erkenntnis losringen". Wernekke.
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