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94 Psych. Studien. XXXVIII. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1911.)
das in einer Weise, daß sie demselben binokularen Sinn
unterworfen ist, wie der Stuhl selbst? Und läßt es sich,
falls die Erscheinung lange genug anhält, um genau beobachtet
zu werden, erwarten, daß der Beschauer, wie
furchtsam wir uns ihn auch denken mögen, nie seinen
Blick an der Gestalt empor- oder herabgleiten lassen oder
ihn nach rechts oder links von ihr lenken wTird. Und
wenn seine Augen auf diese Weise verschiedene Sehwendungen
ausführen, wie kann es nach einer der bisher
von Physiologen vorgebrachten Halluzinationstheorien erklärt
werden, daß der Nervenreiz der Gehirnzellen, der,
wie man annimmt, die Halluzination verursacht, sich rasch
und fehlerlos von einer Reihe Gehirnzellen auf andere
Keinen genau so übertragen kann, wie es, wie wir gesehen
haben, bei einer Wendung der Augen, bei der zerebralen
Darstellung des Lehnstuhles, geschehen muß?
Wendet der Beobachter die Augen unter einem mäßigen
Winkel von links nach rechts, so kann, wie wir bereits
erfuhren, die zerebrale Darstellung des Lehnstuhls hierdurch
veranlaßt wrerden, sich von der linken Gehirnhemisphäre
auf die rechte zu übertragen; folglich muß, falls
das halluzinatorische Bild noch im Stuhle sitzend erscheinen
sollte, auch angenommen werden, daß es gleichzeitig
mit der zerebralen Darstellung des Lelmstuhles von
eirer Gehirnhälfte auf die andere übertragen wird.
Zur besseren Veranschaulichung des Vorganges, welcher
erforderlich wäre, wollen wir annehmen, daß von zwei
Personen, welche mit magischen Laternen operieren, je ein
verschiedenes Bild auf einen gegenüber aufgehangenen
halbdurchsichtigen Schirm projiziert wrird.
Man lasse uns ferner annehmen, daß A einer der
Operatoren, deren Laternen wir uns mit Universal-Gelenken
ausgerüstet denken, aus seiner Laterne das Bild eines
Lehnstuhls auf den Schirm wirft, und daß der andere
Operator B von seiner Seite her eine sitzende Figur derart
auf den Schirm projiziert, daß es dem Beschauer vorkommt
, als sitze die Figur ungezwungen im Stuhle und
stehe mit ihm in Beziehung. Hierauf lasse man den
Operator A seine Laterne in einer willkürlichen Weise
umherbewegen, so daß das Bild des Stuhles auf dem
Schirme hierdurch in eine schwankende Bewegung gerät.
Alsdann möge man sich fragen, welcher Art die Mitwirkung
von seiten des anderen Operators B sein müßte, um zu
erreichen, daß das Bild der sitzenden Figur, während des
Herumschwankens des Lehnstuhlbildes auf dem Schirm,
dabei immer als in jenem sitzend erschiene?
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