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Kaindl: Die physiologischen Grenzen der Gesiehtshalluzination. 95
Wir werden zugeben müssen, daß eine solche Mitwirkung
, um erfolgreich zu sein, von seiten des zweiten
Operators B eine ganz außergewöhnlich feine Gewandtheit
und Absicht erfordern würde. In diesem Beispiele stellt
die Laterne des A das menschliche Auge vor, welches
durch seine Bewegungen die Verschiebungen der Perzep-
tionon äußerer Objekte auf den Netzhäuten und im Sehkortex
, die uns der Schirm vergegenwärtigen soll, verursacht;
während die Laterne des B die Projektion eines halluzinatorischen
Bildes auf dieselben höheren Zentren durch
ein noch höheres ideoformatives („ideational44, d. i. gedankenbildendes
) Vermögen veranschaulicht, von welch'
letzterem, um die Verbindung zwischen der Halluzination
und der Wahrnehmung („perception") wirklicher Objekte
nicht preisgeben zu müssen, folglich angenommen worden
muß, daß es mit einer blitzartigen Geschwindigkeit und
einer vollendeten Sicherheit operiert (arbeitet), welche dem
normalen Selbst fremd und ihm unerreichbar sind. Und
die Schwierigkeit, welche aus dieser fabelhaften Leistung
des ideenbildenden Vermögens entspringt, wird noch vermehrt
, wenn man auf die ungewöhnliche Komplikation,
welche die vielfache Vertretung (Repräsentation) von Netzhautpunkten
im Sehkortex des Cerebrum in sich schließt,
Rücksicht zu nehmen «,hat. Diesfalls steigert sich die
Schwierigkeit ins Unermeßliche.
Hier könnte von den Physiologen eingewendet werden,
daß die Analogie der Wahrheit mehr entsprechen würde,
wenn wir angenommen hätten, daß die Laterne des A mit
jener des B mechanisch verbunden und ihr beigeordnet
ist, welchenfalls die beiden Laternen alsdann imstande
wären, einheitlich zusammenzuwirken.
Wenn man dies auf die Sehkortexschichten des Großhirns
und die ideoformativen Gehirnrindeschichten (falls
sie voneinander getrennt sind) anwendet, so könnte man
sich in analoger Weise vorstellen, daß die motorischen und
sensorischen Gehirnzentren, welche die Bewegungen der
Augen regeln und dem Bewußtsein ein äußerst feines Empfinden
für jene Bewegungen verleihen, mit den ideoformativen
Gehirnrindenschichten (und möglicherweise auch mit den ap-
perzeptiven Zentren) derart verknüpft und ihnen koordiniert
sind, daß sie den letzteren die durch Übung erlangte Fähigkeit
erteilen, das auf die Sehkortexschichten projizierte subjektive
Bild, dessen Entstehung auch auf das ideoformative Vermögen
zurückzuführen ist, gleichzeitig mit den von äußeren
Objekten herrührenden sensorischen Bildern und in völliger
Ubereinstimmung mit ihnen umherfackeln zu lassen.
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