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Kaindl: Der Vampyrismus als Scheintod, 155
Vorkommnisse in französischen Spitälern von aktuellem
Interesse *).
Nachdem er uns den Vampyrglauben in der phantastischen
Weise, wie er im Volke lebt, kurz geschildert
hat und uns (nach Horst) den Vampyr definiert als „ einen
Leichnam, welcher im Grabe fortlebt, dies aber Nachts
verläßt, um lebenden Menschen das Blut auszusaugen,
wodurch er sich ernährt und in gutem Stand erhält, anstatt
*) Der vollständige Titel des interessanten Buches lautet:
„Wahrheiten im Volksaberglauben, nebst Untersuchungen über das
Wesen des Mesmerismus". In Briefen von Dr. Herbert Mayo,
früherem Oberchirurgen am Middlesex-Hospital; Professor der
Anatomie und Physiologie am Kings-College; Professor der vergleichenden
Anatomie am Königl. Collegium der Wundärzte; Mitglied
der KOmgl. Gesellschaft der Wissenschaften etc. Nach der
dritten englischen Original-Ausgabe deutsch von Dr. Hugo Hartmann.
Mit einer Tafel, Leipzig: F. A. Brockhaus, 1854. — Die im Februarheft
berichtete dankenswerte Aufdeckung des neuesten Schwindels, der
mit dem Medium * Ofelia Corrates vom eigenen Vater getrieben
worden zu sein scheint, indem derselbe offenbar alles glaubte,
was seine Tochter in absoluter Dunkelheit ihm und den Anwesenden
vorerzählte, veranlaßt mich noch zu folgender Anmerkung: Die
Nachricht über diese Vorfälle in Costa Rica kam mir nicht ganz
unerwartet. Ich wurde von verschiedenen Seiten gedrängt, jene
Berichte der „Annales" zu übersetzen, ließ mich aber glücklicherweise
nicht dazu herbei, da^ich mich eines Mißtrauens gegen die
darin berichteten Phänomene trotz der aufgeführten langen Liste von
Zeugen nicht völlig erwehren konnte. Man muß aber schon aufrichtig
gestehen, daß unsere „fortgeschrittene" moderne Zeit im Schwindel
ganz Unglaubliches leistet! Was mögen wohl die Motive sein, die
jenen nirgends vorher bekannten Berichterstatter bestimmten, solche
Lügen in die Welt zu setzen? In Amerika ist der Humbug jedenfalls
ganz besonders entwickelt, und sollte man daher, wie ja auch die
Schriftleitung schon wiederholt betonte, gegen alle Nachrichten,
die von dorther kommen, doppelte und dreifache Vorsicht walten
lassen. Daß die so umsichtig redigierten „Annales" vor Veröffentlichung
dieser fulminanten Berichte sich nicht zuerst an Ort und
Stelle bei einem oder mehreren der angeführten distinguierten
Zeugen näher erkundigten bezw. ausreichende Kontrollmaßregeln
veranlaßten, nimmt mich wirklich Wunder. Nun triumphieren wieder
die Skeptiker! Immerhin ist es ein Glück, daß auch in diesem
Fall, wie bei Bailey, erfahrene Okkultisten selbst die „Entlarver"
waren. Es ist aber schade, daß von Gelehrten, wie Dr. Dessoir
in Berlin, die umfangreiche ältere Literatur des Okkultismus, die
viel Überzeugendes und Vortreffliches enthält, so wenig gewürdigt
wird. Würden sie die nicht so von Betrug durchsetzten spontanen
Phänomene in Spukhäusern etc. zu ihrem Studium erwählen, so
würden sie auch viel besser zu unterscheiden wissen, was an den
somnambulen Phänomenen des Mediumismus wahr und was falsch
ist. Bücher, wie das von mir vorher zitierte, gibt es doch in der
okkulten Literatur in ziemlich bedeutender Anzahl. Solche Werke
völlig zu ignorieren ist nicht statthaft; wenn es aber von gewissen
Gelehrten dennoch geschieht, so muß das in jedem Denkenden
Zweifel an deren Unparteilichkeit und Objektivität erwecken. K.
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