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Kalndl: Die physiologischen Grenzen der Gesichtshalluzination. 161
und Kegelchen der Retina in einer engeren und direkteren
Verbindung steht als mit anderen Stäbchen und Kegelchen,
ohne welche Annahme diese Nervenf äserchen-Strukturen
der Sehnervverzweigungen als jeden Zweckes bar angesehen
werden müßten.
Es hat daher seine physiologische Begründung, daß wir
alle zentralen Gesichtswahrnehmungen, die ihre Ursachen
in Erregungen der zerebralen Nervenzellen haben, unwillkürlich
auf bestimmte Punkte der Netzhäute beziehen, und
daß wir keine Gesichtswahrnehmungen haben können, ohne
sie in unserem Bewußtsein auf einen bestimmten Teil oder
auf Teile des Gesichtsfeldes des Auges zu beziehen; sowie daß,
während unsere Perzeptionen äußerer Objekte bei einer
Wendung der Augen sich im Gesichtsfelde zu bewegen
scheinen, ein gleiches Verhalten von halluzinatorischen,
innerlich vei anlaßten Wahrnehmungen nicht erwartet werden
kann, indem sie den Augen folgen (d. h. im Gesichtsfelde
stabil erscheinen) müssen. Mithin haben wir in den „Nachbildern
* eine Halluzination oder eine Wahrnehmung
ohne ein Objekt, und man wird beobachten, daß ein
solches Nachbild mit unserer Umgebung in keiner bestimmten
Beziehung steht, daß es den Augen überallhin folgt, bei dem
stärksten Schielen einfach bleibt, dabei ein sehr verschwommenes
und schemenhaftes Aussehen hat und keinerlei
binokulare Empfindung von Körperlichkeit oder einer realen
Position (wirklichen Stellung) im Räume gewährt. Bisher
hat man diese eine physiologische Erklärung der Gesichtshalluzinationen
betreffenden Schwierigkeiten niemals ernstlich
zu beheben versucht, ja sich dieselben, wie ich glaube,
nicht einmal vergegenwärtigt. Man hat bis jetzt keine
Gründe vorbringen können, warum eine Form von (suppo-
nierten) halluzinatorischen Bildern sich an die Umgebung
des Perzipienten gebunden und doppelt zeigen sollte,
während die uns allen wohlbekannten „Nachbilder*, welche
die einzigen sind, von deren halluzinatorischem Charakter
wir wirklich überzeugt sind, sich in ganz entgegengesetzter
Weise verhalten sollten. Denn wir haben gefunden, daß
der an das apperzeptive Vermögen, in der Form von
Erwartung, behufs Behebung der Schwierigkeit, ergangene
Ruf (Appell) die Annahme supernormaler Fähigkeiten verlangt
, so daß man sich gezwungen sieht, die Kette physiologischer
Verursachung, der wir bisher gefolgt sind, endgiltig
aufzugeben, weil sich auf diesem Wege nicht erklären läßt,
wieso eine wirklich halluzinatorische Wahrnehmung inmitten
der realen Umgebung des Perzipienten örtlich objektiviert
erscheinen kann. Hier könnte eingewendet werden, daß
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