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182 Psychische Studien. XXXVIII. Jahrg. 3. Heft. (März 1911.)
zehrenden Kräfte (der Geist oder die guten Geister) einen
oft verbeerenden Kampf gegen die dienenden nährenden
(das Fleisch oder die bösen Geister). Man betrachte einen
Fieberkranken oder Sterbenden. Wie sich da Nerven- und
Blutmauserung in jähem Wechsel ablösen und durch Absorption
der ganzen Kraft zu unglaublicher Stärke kommen!
Kein Wunder, wenn ungebildete Völker hier übernatürliche
Kräfte im Kampf miteinander begriffen sehen, und auf
ihre Art durch Zauberei in den Kampf einzugreifen versuchen
.
II.
Auf welchen Ursachen und Wirkungen beruht dieses
Spiel der Kräfte, dieses „Aus- und Einfahren der Geister?
Nach dem Bisherigen wird eine Erklärung unschwer zu
geben sein. Beruht nicht alles Leben auf einer Störung
und Wiederherstellung des Gleichgewichts? Das gilt
namentlich auch für seelische Vorgänge. Fällt ein Lichtstrahl
ins Auge, so muß er sich Raum schaffen, der Sehapparat
muß Stoffe und Kräfte abgeben, um neue aufnehmen
zu können Ebenso ist es mit den anderen Sinnen-
Pforten, durch die der Geist ein- und auszieht. Daß es
beim Aussenden der Gedanken welle nicht anders ist, beweist
die durch den Geruch wahrnehmbare Aussendung
körperlicher Stoffe in den Raum (der Geruch entströmt
hauptsächlich dem Genick). Das Auge vermittelt den Eintritt
der Lichtwellen, das Ohr derjenigen des Schalls, der
Gaumen mit Nase und Zunge die Wellen chemischer Stoffverbindungen
, die Haut Wärme und Kälte. — Im Bewußtsein
der Fähigkeit, eine Aufsicht über die einzelnen seelischen
Funktionen auszuüben, sei es mit oder ohne besonderem
Organ, haben wir die Möglichkeit einer gewissen Kontrolle
des Ganzen (Willens- und Charakterbildung). Sind die
Stoffe verbraucht oder die Kräfte erschöpft, welche einen
Kreislauf der Sinnnesfähigkeit vermitteln, verbauen Schlacken
den Weg, so bricht sich der für die Seelentätigkeit nötige
Strom neue Bahnen; das Leben äußert sich auf eine andere
Art. Will man ein Bild dieser Vorgänge haben, so betrachte
man eine Deltabildung oder das Wlindernetz im
Schwanz eines Salamanders unter dem Mikroskop. Im
Schlafen und Wachen, im Denken und Fühlen, im Arbeiten
und Ruhen, welch eine Vielfachheit der Gestaltungen und
Erscheinungen unseres Ich!
Das sind alltägliche Erscheinungen. Aber es gibt
auch außergewöhnliche. Zu diesen gehören mediumistische
Veranlagungen für bestimmte Fähigkeiten. Was durch
Geister- und Engelerscheinungen früher auf sittlich - reli-
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