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Kaindl: Der Vampyrismus als Scheintod.
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von Spanien, war, wenigstens wie man glaubte, nach einer
kurzen Krankheit gestorben. Sein Rang erforderte seine
Einbalsamierung. Zu diesem Behufe wurde sein Körper
geöffnet. Eben wurden Lunge und Herz bloßgelegt, als
man bemerkte, daß das letztere schlug. In diesem verhängnisvollen
Augenblicke erwachte der Kardinal und hatte
noch Kraft genug, das Messer des Anatomen zu ergreifen!
Wohl aber ist jene Gefahr folgender Art:
Am 25. September 1763 wurde der Abb£ Pr^vost, der
bekannte französische Novellist und Sammler von Reisebesehreibungen
, im Walde von Chantilly von einem Schlaganfalle
getroffen. Sein lebloser Körper ward bald darauf
gefunden und in die Wohnung des nächsten Geistlichen
gebracht. Man nahm an, der Tod sei infolge von Apoplexie
eingetreten. Allein die Ortsbehörden wollten sich genauer
von dem Zustande des Toten überzeugen und ließen daher
den Körper öffnen. Bei der Sektion stieß der arme Abbe
einen Schrei der Todesangst aus, — doch es war bereits
zu spät!
Am häufigsten kommt Traumtod bei plötzlichen
und unerklärlichen Todesfällen vor, und leider veranlaßt
die Ängstlichkeit der Angehörigen und Freunde, sowie der
übertriebene Eifer der Leichenbeschauer (coroner) gerade
in solchen Fällen sehr Mcht eine voreilige Sektion. Wenn
der Körper während dieser letzteren glücklicherweise nicht
erwachte, so folgt daraus noch keineswegs, daß der Leberis-
funke in ihm gänzlich erloschen war. Doch ist der Gedanke
zu peinlich, als daß man ihn auf die Vergangenheit anwenden
könnte. Allein es ergibt sich aus ihm die unabweisbare
N otwendigkeit, nekroskopische Untersuchungen
erst dann zu erlauben, wenn untrügliche Beweise dafür
vorhanden sind, daß das Leben wirklich gänzlich erloschen
ist, d. h. den Vorschriften, welche in Bezug auf das
Beerdigen von Toten überall als absolut und unverletzlich
gelten sollten, auch für die Leichenuntersuchungen
eine strenge Geltung zu verschaffen. So tritt
die große praktische Wichtigkeit der Frage hervor: wie
läßt sich erkennen, daß in einem körper wirklich
nicht mehr Leben ist?
Ein gänzliches Fehlen der gewöhnlichen Lebenszeichen
ist nicht genügend, um die Abwesenheit des
Lebens selbst zu beweisen. Der Körper kann äußerlich
kalt, der Puls kann unfühlbar sein; der Atem kann ganz
aufgehört haben; jede Bewegung kann verschwunden, die
Glieder können infolge von Krampf steif, die Schließmuskeln
erschlafft sein; bei der ©ffnung einer Vene kann kein
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