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Bormann: Bellini in München.
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und keine mnemotechnischen Hilfen angewendet. Aber
den Beweis für echtes Gedankenlesen ist uns Bellini schuldig
geblieben, dessen Möglichkeit ich damit aber generell nicht
in Abrede stelle.
Der größte Teil der Experimente Bellings vollzieht sich
in der Art des längst bekannten Cumberlandismus, also
unter Berührungskontakt zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer
. Es ist sicher festgestellt, daß auch ungeübteren
Personen, die sich nicht in einen Zustand von Autohypnose,
wie er bei Bellini einen somnambulen Hysterismus darstellt,
versetzen können, das Auffinden versteckter Gegenstände
und Placierungswechsel u. s. w. glückt. Jener Zustand von
Hysterismus aber erzeugt einen ganz ungewöhnlichen Grad
physischer und psychischer Sensibilität für alle Sinneseindrücke
, mit Ausschaltung aller höheren Assoziationen,
die im Wachbewußtsein sonst eben jener Steigerung der
Sensibilität hemmend im Wege stehen. Darum bietet auch
Bellini mehr wie andere Personen. Auch wenn er die
Hand der fühlenden Person verläßt und an dem gesuchten
Menschen herumtastet (der den Auftrag kennt), kommt
ihm jene Uberempfindlichkeit zu Hilfe. Denn niemand
kann sich dem entziehen, unwillkürliche Bewegungen,
Atmungsdifferenzen und Pulswechsel oft nur feinster Art
zu haben, wenn die Lösung eines Gedankens nahegekommen
ist. Also auch für die Beschäftigung mit dem gesuchten
Individuum kann diese Erklärung genügen. Wenn nun
Bellini jenes Buch und Bleistift schon gefunden hatte, so
war auf die Antwort: „es ist noch nicht fertig," der Rest
der Aufgabe, ein Wort zu wählen und zu unterstreichen,
auch naheliegend. Die Seite fand er unter Halten der
Hand des Führenden durch Hin- und Herblättern und das
bestimmte Wort, immer im Kontakt mit dem Auftraggebenden
bleibend, indem er den Zeilen mit dem Finger entlang
fuhr, bis er, an dem betreffenden Wort angekommen, das
soll die Zahl nennen. Tut er es dreimal (sc. richtig), so bin ich
überzeugt. Denken Sie doch, das Buch hat Tausende von Worten
und er rindet das richtige! Trotzdem, glaube ich, dürfte meine
Aufgabe schwerer, ja unlöslich sein, wahrscheinlich wird Herr
B. sofort sagen, es gehe nicht mit Zahlen. Gut, also mit dem
Buch und der Seitenzahl. Bloß verlange ich, daß dem Medium
diesmal die Augen verbunden werden; ich glaube, Herr Bellini
kann nun gerade so lange blättern wie ich, ehe er die richtige
Seite findet. Ich bin eben der Ansicht, daß ein Mensch, Herr
Bellini, ebenso fähig ist, fein zu beobachten wie ein Pferd, der
„kluge Hans", und halte es sogar noch eher für möglich, daß ein
Tier rechnet, als daß ein Mensch meine Gedanken errät."" In der
Annahme, daß diese Kundgebung für Sie von Interesse sein wird,
bin ich mit vorzüglicher Hochachtung Ihr Graf Klinckowstroem."
—-Red. 17*
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