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274 Psychische Studien. XXXVIII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1911.)
halbe Wendung nach links. Da sah ich den die rechte
Hand auf die Türklinke legenden, mir den Rücken zukehrenden
Herrn H. senior. Jedoch sah ich auch seine
rechtsseitige Gesichtshälfte mit dem wohlbekannten grauen
Vollbart, wie ich ihn oft bei seinen Lebzeiten gesehen habe.
Von seiner Kleidung habe ich gesehen: seine braune Joppe,
graue Hose und auf dem Kopf eine sogenannte Cerevismütze
(Tellerhaube), ganz wie der alte Herr im Hause gekleidet
zu sein pflegte. Als ich den Verstorbenen erkannt hatte,
erschrak ich aufs heftigste, so daß ich meinte, die Füsse
brächen mir ab. Ich ging hierauf schnell in das Schlafzimmer
, wo ich die Betten richtete; dann ließ ich das
Licht im Schlafzimmer stehen, trug im Finstern meine drei
kleineren Kinder nacheinander vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer
und kehrte dann mit dem Licht ins Wohnzimmer
zurück. Dort sagte ich meiner noch nähenden Tochter
Helene: „Bleib noch einige Zeit auf; denn der Vater wird
gleich kommen, denn der Zug hat schon herein gepfiffen;
ich leg mich jetzt nieder/ Ich tat aber so, weil mir das
Weinen nahe war und ich meine Aufregung die 14 jährige
Helene nicht merken lassen wollte. Als ich nun mit dem
Lichte wieder meinem Schlafzimmer zuging, da war es
wieder, als ob zwischen mir und dem auf der rechten Gangseite
stehenden Kleiderschranke etwas wie ein Luftzug
durchstreiche und leis meine Kleider streife. Ich drehte
mich wieder etwas um und sah wieder den alten Herrn,
wie er im Gange zurück und auf die Stalltüre zuging.
Ich eilte schnell in mein Schlafzimmer und schloß die Türe,
dann aber kam mir der Gedanke: „Gib Weihwasser" und ich
öffnete nochmals etwas die Türe und sprengte Weihwasser
auf den Gang, ohne aber nochmals hinauszusehen. Ich betete
dann und legte mich zu Bette, ohne weiter noch etwas zu
sehen oder zu hören. Lange konnte ich nicht schlafen,
auch nicht als mein Mann bereits da war. Mein Mann
und meine größere Tochter sagten zu mir nichts und ich
sagte zu ihnen nichts von dem, was ich gesehen hatte.
Ich denke daß diese beiden nichts sahen und ich wollte
ihnen keine Aufregung bereiten/ —
Auf spezielles Befragen erklärt Fr. H.: „Ich hatte selben
Abend noch nicht geschlafen; ich war ganz wach, hatte ja
eben noch mit meiner Tochter gesprochen und meine Kleinen
ausgezogen; ich war auch ganz gewiß nicht schlaftrunken,
nicht schlaf gierig." — Wieder auf spezielles Befragen erklärt
Fr. H.: „Ich habe nie in meinem Leben etwas Ahnliches
gesehen und, wenn ich von solchen Dingen erzählen hörte,
so habe ich ihnen keinen festen Glauben geschenkt."
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