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278 Psychische Studien. XXXVIII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1911.)
anderen Abend sah Miß R C. Morton die Erscheinung iu
das Gesellschaftszimmer hereinkommen, sah sie dann sich
an ihren gewohnten Platz, hinter dem Sofa, worauf sie saß,
begeben und dort etwa eine halbe Stunde lang verweilen.
Miß Morton drückt ihr Erstaunen aus, daß sie von ihrem
damals im Zimmer anwesenden Vater und ihren Geschwistern
nicht wahrgenommen werden konnte. In dem
veröffentlichten Bericht tritt die Tatsache, daß die Erwartung
keinerlei Einfluß auf die Wahrnehmung der Erscheinung
hat, besonders deutlich zutage. —
„Proceedings of the S. P. R", Vol. V, p. 418 : Mr.
Tyre gibt einen ausführlichen Bericht über die Erscheinung
einer alten Frau, welche man oftmals neben seiner jüngeren
Schwester auf dem Bette liegen sah, während weder er, noch
weggeblieben. Er lautet: „Ich folgte ihr und sah sie die Hausflur
dahinwandeln, bis sie die Gartenthüre erreichte, wo sie verschwand.
Als sie den unteren Teil der Treppe passierte, sprach ich sie an,
erhielt aber keine Antwort, obgleich sie, wie früher, anhielt und
tat, als ob sie etwas sagen wollte." — Ich werde hier aus dem
Berichte der Miß Morton noch ein paar Stellen anführen, aus denen
zu ersehen ist, daß auch andere Personen von der Erscheinung
ganz ähnliche Eindrücke empfingen, wie die Berichterstatterin. „In
der Nacht vom 2. August desselben Jahres wurden von drei meiner
Schwestern und der Köchin, welche alle im oberen Stockwerk
schliefen, und auch von meiner verheiratheten Schwester Mrs. K.,
welche einen Stock tiefer schlief, Fußtritte gehört. Sie alle behaupteten
, ganz deutlich vernommen zu haben, wie an ihren Thüren
die Fußtritte vorüber- und wieder zurückgekommen seien. Die
Köchin, eine Person von mittleren Jahren, die ziemlich sensitiv war,
erzählte mir, daß sie eines Nachts, als sie, nachdem die Dienstleute
schon zu Bette gegangen waren, noch in die Küche ging, um
heißes Wasser zu holen, der Gestalt auf der Stiege begegnete.
Sie schildert sie als eine Dame in Witwentracht, groß und schlank
von Gestalt, deren Angesicht unter einem mit ihrer rechten Hand
gegen dasselbe gepreßten Taschentuche verborgen ist. Außerdem
sah sie die Gestalt an einem Vormittag um 11 Uhr vom Küchenfenster
aus auf der Terrasse, wohin es sich öffnet, auf- und abwandeln
, ohne dieser Wahrnehmung damals eine besondere Bedeutung
beizulegen. — Am 6. August (1884) sandte ein Nachbar
von uns, General A., der uns gegenüber wohnte, seinen Sohn zu
uns herüber, um sich nach meiner verheiratheten Schwester zu erkundigen
, da sie in unserem Obstgarten, der von der Straße aus
sichtbar ist, eine Dame gesehen hätten, die darin wehklagend
herumwandelte. Er beschrieb sie uns durch seinen Sohn, und
später selbst, als eine schlanke Dame in Schwarz (Trauerkleidung)
mit einer Haube auf dem Kopfe, von der ein langer Schleier herniederhing
, das Angesicht von einem Taschentuch verhüllt, das sie
mit ihrer rechten Hand unter Schluchzen dagegen drückte. Er
kannte meine Schwester nicht persönlich, da sie erst ein paar Tage
hier war und uns nur selten besuchte, und wußte nur, daß sie
wegen ihres jüngsten Sohnes in Trauer ging. Meine Schwester
war an diesem Tage überhaupt nicht im Garten, ist eher klein und
trägt keinen Schleier.44 K.
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