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Kalndl: Die physiologischen Grenzen der Gesichtshalluzination. 279
seine ältere Schwester irgend etwas dem Ähnliches wahrzunehmen
vermochte. Spätere Nachforschungen ergaben,
daß die Erscheinung der Schilderung entsprach, die man
über des vorigen Wohnungsinhabers erste Frau erhalten
hatte, welche an eben der Stelle, die jetzt die Erscheinung
einnahm, unter unsäglich traurigen Verhältnissen gestorben
war. —
Ein anderer, sehr bemerkenswerter Fall ist jener,
welcher unlängst in dem „Journal of the Society for
Psychical Research" (vom November 1908) ^jpröffentlicht
wurde. Es handelt sich hier um eine von Dr. Riaz, einem
besonnenen, verständigen und energischen Geschäftsmanne,
der keinerlei Gesichte je gehabt hatte, bezeugte, dem Tode
seiner Frau vorangehende Vision von der ungewöhnlichen
Dauer von fünf Stunden. Er befand sich in einem sowohl
physisch, als auch geistig vollkommen normalen Zustand.
Er war jedoch der einzige im Zimmer, welcher die Gestalten
dieser .engelgleichen Wesen gewahrte, die anscheinend
auf die Befreiung von seines Weibes geistiger
Form warteten, welche er gleichfalls wahrnahm und bestrebt
sah, sich von ihrem materiellen Körper loszumachen,
mit dem sie durch den bekannten, einem Silberfaden ähnelnden
Odstrom [bezw. fluidischen „Faden"] verbunden schien.
Wiewohl er die Augen wiederholt vom Bette abwandte, fand
er doch die Gestalten noch immer dort, wenn er sie dem
Bette wieder zukehrte. Er dachte, daß ein einige Zeit arthaltendes
Schließen der Augen zu einem Verschwinden der
Vision führen könnte; dies war aber keineswegs der Fall.
Beim Offnen der Augen waren die Gestalten wieder alle
da, gerade wie zuvor. Es läßt sich kaum ein Fall finden,
der mehr für die Objektivität der Erscheinung spräche als
dieser; und doch war derjenige, für den diese Vision bestimmt
schien, der .einzige Anwesende, für den sie sichtbar
war.--
Daß die Mehrzahl der spontanen Erscheinungen weder
in dem supra-, noch in dem subliminalen Geiste des Perzipienten
entspringt, darauf deutet auch die bedeutsame Tatsache
, daß die Formen und die Art der Erscheinung von
der traditionellen, unter dem Einfluß von Religion und
religiöser Kunst entstandenen Vorstellung von geistigen
Wesen so sehr abweichen. Engel und Geister sind uns
immer, sowohl schriftlich, wie auch bildlich, als geschlechtslose
und bartlose Wesen mit Schwingen und in strahlende
weiße Gewänder gekleidet geschildert worden. Wie himmelweit
verschieden von jenen sind im allgemeinen die in den
Berichten der S. P. R. enthaltenen Schilderungen von
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