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296 Psychische Studien. XXXVIII. Jahrg. S.Heft. (Mai 1911.)
verübt durch das von einem hinterindischen Magier nach
Europa verschleppte „Denken* überhäuft sind, noch die
nachfolgende wichtige Mitteilung: „Gedankenlesen.
Am Donnerstag stellte sich der Gedankenleser Andrej^
den Mitgliedern der „Psychologischen Gesellschaft* vor.
Die Sitzung begann mit einigen einleitenden Bemerkungen,
die Andrej^ selbst seinen Experimenten vorausschickte.
Er führte aus, daß er hier nicht verblüffende und irritierende
Experimente machen wolle. Auf der Bühne vor einem
großen Publikum müsse er das tun und darum oft Psychologie
und Kombinationsgabe zu Hilfe nehmen. Hier handle
es sich aber um eine wissenschaftliche Untersuchung und
bei einer solchen müßten diese Hilfen ausgeschaltet werden.
Dann bleibe nur ein « ewisses Etwas übrig, das wie eine
Art Instinkt ihn bei seinen Versuchen führe. Auch wenn
seine Ueberlegung ihm sage, diese oder jene Handlung
könne unmöglich die geforderte sein, immer sei das das
Richtige, was ihm jenes Etwas eingebe. Hierauf begannen
die Experimente, bei denen die Mitglieder der Gesellschaft
fortwährend mit kritischen Bemerkungen eingriffen und
alle Fehlerquellen auszuschalten suchten.
Zuerst versuchte Andrejs eine Farbe, die er vorher
dem Vorsitzenden mitgeteilt hatte, nacheinander verschiedenen
Herren einzugeben, indem er ihnen die Aufgabe stellte, in
Gedanken die Grundfarben durchzugehen und dann die Farbe
zu nennen, zu der sie sich im Augenblick besonders hingezogen
fühlten Ungefähr die Hälfte dieser Versuche gelang.
DieseVersuche wurden dann nach Vorschlägen einzelner Mitglieder
variiert und durch besondere Zusätze erschwert. Hiervon
glückte nur verhältnismäßigWeniges; aber zwei dieserVer-
suche gelangen doch. Den einen der mißglückten Fälle, in dem
der Suggerierende Andrejs den Rücken zukehrte, erklärte
Andrejs selbst für unmöglich, da nach seiner Theorie eine
Art Strahlung von den Augen ausgehe. Dann folgten
Versuche, in denen Andrej^ von verschiedenen Herren
kompliziertere Aufgaben suggeriert wurden. Der erste dieser
Versuche gelang, aber mit großer Mühe, und dauerte
verhältnismäßig lange. Ungleich wirkungsvoller war der
zweite dieser Versuche. Andrej sollte aus einer Mappe
ein Buch herausnehmen und auf einer bestimmten Seite
ein bestimmtes Wort mit einem Bleistift anstreichen. Nach
nur kurzem Besinnen stürzte er auf die Mappe zu, nahm
mit frappierender Schnelligkeit das Buch heraus und schlug
die richtige Seite auf. Das zu unterstreichende Wort war
freilich zu schwer gewählt. Aber als ein leichteres gewählt
wurde, fand er es, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten.
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