http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1911/0361
v. Schnellen: NaturwinsenHchaft, Seelenlehre und Metaphysik. 357
es dürfte deshalb nicht unangebracht sein, wenn ich hier
die Grundsätze dieses modernen Phänomenalismus einmal
kurz darstelle und auf ihre Haltbarkeit zu prüfen versuche.
Erleichtert wird die Aufgabe dadurch, daß Prof. H.
Kleinpeter uns in einer kleinen, flott geschriebenen
Schrift über „ Die Erkenntnistheorie der Naturforschung
der Gegen wart" (Verlag von J.A.Barth,
Leipzig, S. XII u. 156) jüngst eine kurze, zusammenfassende
Darstellung der fraglichen Ansicht gegeben hat. Sein Entwurf
deckt sich, wie er selbst (Vorwort S. X) sagt, im allgemeinen
mit den von den oben genannten Forschern geäußerten
Ansichten über das Wesen der Erkenntnis und
sucht aus ihren in der Haupsache übereinstimmenden, in
manchen Einzelheiten aber abweichenden Ansichten jenen
Kern gemeinsamer Überzeugungen herauszuheben, der die
Grundlage zu einer wissenschaftlich haltbaren Erkenntnislehre
im Sinne des Phänomenalismus abgeben soll (S. X—XI).*)
Hier haben wir also alles wichtige Material kurz beisammen
und können uns leicht überzeugen, was an der Behauptung,
daß es die Wissenschaft nur mit Erscheinungen, aber niemals
mit irgend welchen Dingen an sich zu tun habe, wirklich
haltbar ist. Denn nur auf diese Behauptung kommt
es in Wahrheit an. Sie ist der eigentliche, ihn vor andern
Ansichten auszeichnende^ Grundgedanke des Phänomenalismus
; nicht aber die Einsicht in die Realität aller Erkenntnis
(S. 6) oder gar das rein formale Prinzip von der Ökonomie
des Denkens (S. 10). Die sind beide nicht neueren
Ursprungs (S. 6; 15), sondern uralt. Und sie werden heute
von ausgesprochenen Metaphysikern, wie Ed. v. Hartmann
und Arthur Drews, ebenso entschieden, ja noch entschiedener
festgehalten und begründet, als von den oben genannten
Antimetaphysikern der Gegenwart, die sich mit ihnen etwas
unnötig groß tun und ihren wohl kaum gelesenen Gegnern
sehr mit Unrecht* das Streben nach einer absoluten, unbedingt
gewissen und von der Erfahrung absehenden Erkenntnis
unterschieben (S. 6; 15). Der wirkliche Streit
dreht sich nicht um die Methoden und den Zuver-
lässigkeitsgrad, sondern um den Gegenstand und
die Grenzen der Erkenntnis. Und nur mit diesen beiden
Fragen werden wir uns darum hier befassen.
*) In dem Torwort zu seinem Werk „Erkenntnis und Irrtum"
(2. Auflage) erklärt auch Mach seinerseits, daß er der Darstellung
Kleinpeter's „in allem Wesentlichen zustimmen könne".
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1911/0361