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Kaindl: Die physiologischen Grenzen der Gesichtshailuzination. S65
naheliegenden, für gewöhnliehe Personen unsichtbaren Objekten
sowohl, als auch von solchen, welche in gegen Licht
geschützten Behältern eingeschlossen sind, darin bestehen,
daß der für gewöhnlich ruhende psychische Apparat zu
einer vorübergehenden Tätigkeit erweckt wird, während
die anscheinend wunderbaren Fähigkeiten, wie es das Sehen
mit der Magengrabe, dem Ellenbogen, dem Hinterhaupte
etc. ist, durch die Annahme eine Erklärung finden dürfte,
daß sich der psychische Sehapparat für den Augenblick
von seinem mütterlichen Nährboden räumlich getrennt hat
und seine Funktionen an ungewohnter Stelle ausübt, was
freilich auf den ersten Anblick als grotesk und unmöglich
erscheint.*) TJnd die noch merkwürdigere Fähigkeit des
Fernsehens, sowie jene Form von Clairvoyance, wo das Subjekt
geistige Reisen unternimmt, deuten ebenfalls darauf
hin, daß das psychische Sehorgan und mit ihm höchstwahrscheinlich
auch der ganze geistige Körper den physischen
Körper verläßt und bei der entfernten Szene fast augenblicklich
anlangt, während er mit seinem physischen Organismus
noch immer solidarisch verbunden bleibt. Unter
dem vorhandenen Beweismaterial befinden sich zahlreiche
Fälle, welche uns auf diese Theorie direkt zu verweisen
scheinen. Da keinerlei Beweise für die Mehtexistenz eines
geistigen Körpers vorliegen, so vermag ich wirklich nicht
einzusehen, warum wir uns sträuben sollten, das Vorhanden-
*) Dr. Herbert Mayo, weiland Professor der Anatomie und
Physiologie am „Kings-College", befindet sich in diesem Punkte mit
dem Verfasser in TJebereinstimmung, wenn er in seinem Buche
„Wahrheiten im Volksaberglauben" (S. 88) sagt: „Unter der Voraussetzung
, daß der Geist ein von der Materie verschiedenes und getrenntes
Prinzip ist, ist es wohl begreiflich, daß die menschliche
Seele mit dem Körper in einem neuen, ungewöhnlichen und abnormen
Verhältnisse verbunden bleiben kann, ich wage es, anzunehmen,
daß der Geist eine> lebenden Menschen in zweierlei Weise abnorm
thätig sein kann: daß nämlich erstlich ein und zwar größerer Theil
seiner Operationen auf exoneurale Weise —, d. h. außerhalb des
Körpers (das v außerkörperliche Wirken * Aksakow's, s.„Animismus und
Spiritismus", Bd. II, 8. 567)— stattfinden kann; zweitens aber, daß
die esoneuralen geistigen Funktionen innerhalb des Körpers und
zwar in ganz anderen als den der gewöhnlichen Ansicht nach ursprünglich
für sie bestimmten Organen vor sich gehen können, indem
sie es vermeiden, dieser letzteren sich zu bedienen." Und S. 125:
„Die Sinnesorgane verlieren ihre normale Sensibilität. Der Patient
vermag weder mit der Haut zu fühlen, noch mit den Augen zu
sehen, mit den Ohren zu hören, noch mit der Zunge zu schmecken.
Doch sind diese Sinne keineswegs verloren: Sehvermögen und Gehör
, seltener auch wohl Geruch und Geschmack, erscheinen in
irgend einem anderen Körperteile, z. B. in der Herzgrube oder in
den Fingerspitzen." — (S. 191) „Transposition der Sinne": „So unregelmäßig
uns diese Phänomene auch für jetzt erscheinen mögen,
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