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366 Psychische Studien. XXXVIII. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1911.)
sein geistiger Augen und eines geistigen Sehorganismus,
welche, vom physischen Organismus getrennt, in Funktion
treten können, bis auf weiteres als Hypothese anzunehmen,
welche allen diesen Tatsachen einen einheitlichen Sinn verleiht
. Eine solche Theorie mag überdies auf die Frage von
der Hyperästhesie des Sehvermögens tatsächlich einigen Bezug
haben, und zwar in ihrem engeren Sinne, d. h. in jenen
Fällen, wo die Benützung der Augen als sicher erscheint,
und gibt dies zu einer weiteren Frage Veranlassung.
Viele psychische Forscher muß es bei ihren Versuchen
mit psychischen Sensitiven in Verwirrung bringen, wenn
sie zwischen Hypersensitivität des eigentlichen Gesichtssinnes
(d. h. der Augen) und der reinen Clairvoyance zu
unterscheiden haben. Wenn ein Sensitiver behauptet, er
sehe einen Geist in der Nähe stehen, welcher für den
Forscher und andere Anwesende gänzlich unsichtbar ist,
und überdies mit weit aufgerissenen und erregten Augen
das Phantom anzustarren scheint, ist dann der anscheinende
Gebrauch der Augen ein Beweis, daß der Sensitive das
Phantom wirklich mit den Augen wahrnimmt? Er könnte
möglicherweise „clairvoyant* sein, welchenfalls ihm das Phantom
auch nach dem Schließen der Augen noch sichtbar
bleiben würde. Es ist klar, daß ein wirkliches Phantom,
das inmitten seiner Umgebung lokalisiert und vergegenständlicht
wird, auch dem clairvoyanten Gesichtssinn örtlich
objektiviert erscheinen würde, so daß, wenn der Sensitive
die ihn umgebenden Gegenstände nur wie gewöhnlich
mit seinen Augen, das Phantom hingegen bloß mit seinem
clairvoyanten Organ oder seinen geistigen Augen unter-
so sind sie doch sicherlich einem bestimmten Gesetze unterworfen,
welches mittels späterer Beobachtungen und Experimente noch näher
bestimmt werden muß. Williamson beobachtete mehrere solche
Olairvoyants, welche mit dem Hinterkopfe, manche, welche mit den
seitlichen Theilen des Oranium sahen, manche am besten in der Entfernung
von 7 Zoll, andere in einer von mehreren Fußen." — Nach
Aufführung einer Reihe von Beispielen läßt sich Dr. Mayo über
diesen Gegenstand weiter, wie folgt, vernehmen: „Als ich im Jahre
1838 einst Gelegenheit hatte, mit einem aufgeklärten Praktiker über
Thatsaehen dieser Art zu sprechen, machte er gegen ihre Glaubwürdigkeit
den Einwand: „„Wenn wir ohne Augen sehen können,
wozu hat uns dann der Schöpfer die Augen gegeben?"" Dieser
Einwurf scheint gegründet; allein er läßt gleichwohl eine Antwort
zu. Der Zustand von Ekstase ist ein krankhafter, temporärer, vorübergehender
; nur während seiner Dauer manifestiert sich diese
neue geistige Fähigkeit In unserem natürlichen Zustande ist der
Geist bei seiner Thätigkeit der Materie untergeordnet und in seiner
Wirkung an bestimmte materielle Organe gebunden, in deren Fesseln
er gewissermaßen liegt. Dieses Gesetz gilt für unser normales sterbliches
Sein." K.
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