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Hartmann: Noch ein Gedankenleser. 375
Diesen Schlußsatz hatte ich nicht verstanden, daher
machte ich einen Fehler, infolgedessen konnte der Befehl
nicht ausgeführt werden.
Der Geschäftsführer hatte nach seinem Vortrag die
Bühne nicht mehr betreten. Er stand in so weiter Entfernung
, auch 5 bis 6 Stufen tiefer als die Schreibenden,
daß er unmöglich davon Kenntnis nehmen konnte, was der
Einzelne aufschrieb. Nun wurde der Gedankenleser in den
Saal geführt. Der erste Auftraggeber, ein einfach aussehender
junger Mann, trat von der Bühne herunter.
Herr M. T. faßte seine Hand um den Puls und erwartete
Befehle. Nach einigem Zögern wurde der Versuch aufgegeben
. Herr M. T. sprach einzelne Worte, die der Geschäftsführer
dahin ergänzte, daß der junge Mann seine
Gedanken nicht genügend konzentrieren könne. Nun kam
ich an die Reihe. Den Zettel mit dem Auftrag trug ich
bei mir in der Tasche. Niemand kannte ihn sicherlich
außer mir. Herr M. T. umfaßte mit Daumen und Zeigefinger
seiner rechten Hand mein linkes Handgelenk und
sagte: Befehl!" Ich konzentrierte mich auf den Gedanken,
ein Kettenring sollte 7on meiner Hand abgezogen und auf
den Tisch auf der Bühne niedergelegt werden. M. T.
zögerte einen Augenblick und sagte dann, es ginge nicht,
es wäre falsch. Dies w>ar der Fehler, den ich, wie schon
bemerkt, gemacht hatte, und der das Mißlingen dieses
Experimentes zur Folge hatte. Nun kam der zweite Versuch
. Kurzer Zuruf von M. T.: „Befehl"! I^h „dachte*
nun, daß er zu einer anwesenden Freundin hingehen solle,
um dieser einen Kneifer abzunehmen, den sie an einer
Schnur um den Hals trug. Das hatte natürlich nur den
Bruchteil einer Sekunde gedauert, da stürmte der Herr mit
mir durch den Saal und zwar so rasch, daß ich kaum
folgen konnte. In der Überraschung darüber hatte ich den
Gedanken fallen* lassen. Da ertönte wieder scharf und
kurz der Zuruf: „Befehl"! Ich dachte wieder an die Aufgabe
und wieder ging es in rasender Hast (ohne das geringste
Zögern, das etwa einem Feinfühligen eine Wahrnehmung
unwillkürlicher Zuckungen ermöglicht hätte)
zwischen Tischen und Stühlen hindurch direkt auf meine
Freundin zu. Der Gedankenleser wollte ihr jetzt die
Kneiferschnur abnehmen, diese hatte sich aber verknotet.
Einen Augenblick ließ M. T. die Hände sinken. Ich bedauerte
„in Gedanken* tief, daß nun die Aufgabe nicht
vollständig gelöst werden würde. Das schien der Herr in
demselben Augenblicke bemerkt oder richtiger: gefühlt zu
haben, denn er nestelte nun mit einiger Mühe den Knoten
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