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v. Schrenck-Notzing: Das Käfig-Experiment der Lucia Sordi. 401
der Dorsalfläche der rechten Hand zeigte sich die Bindfadenverbindung
gelockert, links war dieselbe kurz, intakt und
maß von ßleiplombe bis zum Ring 5 J/2 cm. Rechts zeigte
sich dasselbe Bindfadenstück auf lO1^ cm ausgedehnt. Ich
versuchte nun mit Gewalt, den Ring über das zweite
Fingergelenk der Sordi zu schieben, um die Finger und
die Hand von der Fessel zu befreien. Es gelang auch, den
Ring bis an das Gelenk vorzuschieben. Das Medium
sträubte sich jedoch und so mußte von der Fortsetzung
des Versuches Abstand genommen werden, obwohl höchstens
der Bindfaden noch 1 cm weiter hätte herausgezogen
werden sollen, um den Ring zu befreien.
Für mich und wohl auch für jeden vorurteilslos urteilenden
Leser besteht kein Zweifel, daß Lucia Sordi durch
gewaltsame Dehnung des ziemlich dicken Bindfadens und
auch durch Lockerung der Handgelenkfessel den Finger
von dem Ringe befreit hat, um ihn gegen Schluß der
Sitzung wieder anzuziehen. Es wäre nicht der Mühe wert,
über diesen einfachen Trick viele Worte zu verlieren, wenn
nicht auch dieses Experiment als Beweismoment für die
Mediumschaft der Frau Sordi in die Welt hinaus verkündet
und mit photographischen Illustrationen versehen worden
wäre.
Wenn man die überzeugend geschriebenen, ins Französische
, Englische und Deutsche übersetzten Berichte liest,
bekommt man ein falsches Bild von der Bedeutung ihrer
Phänomene, die den Anforderungen wissenschaftlicher Methode
und Selbstkritik nicht entsprechen. Es liegt dem
Verfasser selbstverständlich fern, aus dem negativen Charakter
der drei geschilderten Hauptexperimente auf die
übrigen Leistungen der Frau Sordi zu schließen oder ihr
deswegen jede mediale Begabung abzusprechen; vielmehr ist
zu hoffen, daß .es den Beobachtern gelingen werde, nach
längerer genauer Prüfung unter Verziehtleistung auf verblüffende
Paradestücke vollgültigere Beweise zu erbringen
als die bisherigen und aus Frau Lucia Sordi ein brauchbares
Medium zu wissenschaftlichen Untersuchungen heranzubilden
.
Dazu sind aber sorgfältiger Ausschluß der Möglichkeit
jedweder mechanischen Inszenierung der Phänomene, unausgesetzte
und wiederholte Beobachtung derselben Vorgänge
unter veränderten Versuchsbedingungen, sowie wohlerwogene
Verzicbtleistung auf unreife und unzulängliche Berichte
mit sensationeller Tendenz in der Fach- und Tagespresse
notwendig! Denn durch die letzteren fügt man nicht nur
dem Medium selbst, sondern auch einem jungen Forschungs-
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